KNUT MELLENTHIN

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Droht Internationalisierung des Somalia-Konflikts?

Nach dem weitgehenden Sieg der islamischen Milizen über eine von der US-Regierung unterstützte Koalition von Warlords und Clanführern droht eine Internationalisierung des Somalia-Konflikts. Der Führer der Union der Islamischen Gerichte, Scheikh Schariff Ahmed, teilte am Wochenende mit, dass 300 Soldaten des Nachbarlands Äthiopien die Grenze überschritten hätten, und warnte: "Wir fordern sie auf, in ihr Land zurück zu gehen. Sonst wird ihre Anwesenheit einen großen Konflikt zwischen den Eindringlingen und dem somalischen Volk auslösen."

Äthiopien erklärte dazu, die Behauptungen würden jeder Grundlage entbehren. Zugleich bestätigte die Regierung in Addis Abeba aber eine Verstärkung ihrer Truppen an der Grenze. Das sei notwendig, um "Provokationen zu verhindern". Nachdem die islamischen Milizen die Warlords vor zwei Wochen aus der Hauptstadt Mogadischu vertrieben, haben sich die Kämpfe in die Nähe der äthiopischen Grenze verlagern. Einige Warlords sollen sich nach Äthiopien abgesetzt haben, von wo aus sie schon während des Bürgerkriegs unterstützt worden waren.

Nichts Gutes verheißt, dass sich die somalische Übergangsregierung in diesem Streit sofort vollständig auf die Seite Äthiopiens gestellt hat. Dieses im Jahre 2002 mit Hilfe der UNO und insbesondere Äthiopiens geschaffene Gremium residiert in Baidoa im Südwesten Somalias und ist außerhalb der engeren Umgebung der Stadt faktisch machtlos. Sprecher der Übergangsregierung erklärten, die islamischen Milizen hätten den äthiopischen Grenzübergriff nur erfunden, um einen Vorwand für einen Angriff auf Baidoa zu konstruieren. Äthiopien habe das volle Recht, Truppen zu mobilisieren , um seine Grenzen zu schützen.

Die Übergangsregierung hatte die Einnahme von Mogadischu und die militärische Niederlage der Warlords zunächst begrüßt. Beide Seiten, Baidoa ebenso wie die Union der Islamischen Gerichte, hatten ihre Bereitschaft zu Verhandlungen über eine friedliche Verständigung bekundet. Die islamischen Milizen stellten zudem klar, dass sie weder an einem militärischen Konflikt mit der Übergangsregierung noch an einer gewaltsamen Ergreifung der Macht im ganzen Land interessiert seien.

Eine erste Kontroverse zeichnete sich aber schon wenig später durch die Forderung der Übergangsregierung ab, ausländische Truppen in Somalia zu stationieren. Gedacht ist dabei zunächst an Soldaten aus Somalias Nachbarstaaten, insbesondere aus Äthiopien. Das ebenso machtlose wie unrepräsentative Übergangsparlament, das ebenfalls in Baidoa tagt, verabschiedete in der vergangenen Woche eine entsprechende Resolution.

Die Union der Islamischen Gerichte lehnt die Forderung nach einer Internationalisierung des Konflikts schärfstens ab. Sie hat darüber hinaus erklärt, dass diese Forderung Verhandlungen mit der Übergangsregierung im Weg stehe. Die Kräfte des somalischen Volkes seien allein in der Lage, für ihre Sicherheit zu sorgen. Tatsächlich könnte eine ausländische Militärintervention, nachdem die Milizen der meisten Clanführer zerschlagen wurden oder sich aufgelöst haben, von vornherein nur dazu dienen, die Übergangsregierung in Baidoa gegen die islamischen Milizen zu unterstützen. Die Gefahr, dass dadurch der Bürgerkrieg neu entfacht würde, der Somalia schon seit 1991 verheert, wäre groß.

Die Afrikanische Union, der 53 Mitgliedsstaaten angehören, hat sich am Wochenende dafür ausgesprochen, schnellstens ausländische "Friedenstruppen" nach Somalia zu schicken. Das überrascht nicht, da das geschäftsführende Sekretariat der AU, das diese Forderung formuliert hat, sein Hauptquartier in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba hat.

Eine entscheidende Frage ist, ob die US-Regierung - und in ihrem Gefolge die EU - die Forderung nach einer Militärintervention in Somalia aufgreift. Vorerst scheint Washington eine Verständigung mit der Union der Islamischen Gerichte nicht auszuschließen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 20. Juni 2006