KNUT MELLENTHIN

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Erster äthiopischer Kampfeinsatz in Somalia (16.10.2006)

Erster äthiopischer Kampfeinsatz in Somalia

Milizen, die der somalischen "Übergangsregierung" nahe stehen, haben am Freitag vergeblich versucht, die Hafenstadt Kismajo, die drittgrößte Stadt des Landes, zurück zu erobern. Kämpfer der fundamentalistischen Union Islamischer Gerichte (UIC) schlugen die mehrstündigen Angriffe schon in den Außenbezirken der Stadt zurück. Zuvor hatte es am Freitag auch Kämpfe in der nahe gelegenen Stadt Bu'aale gegeben.

UIC-Kämpfer hatten am 23. September die Kontrolle im südsomalischen Kismajo übernommen, ohne dass dabei ein einziger Schuss fiel. Die Milizen des Juba-Tal-Bündnisses, die bis dahin in Kismajo herrschten, hatten sich schon vorher in die Gegend um Bu'aale zurückgezogen. Chef dieser Milizen ist Barre Hirale Schire, der Verteidigungsminister der "Übergangsregierung", die in der Provinzstadt Baidoa residiert. Schire und sein Miliz-Chef hatten gleich nach dem Machtwechsel in Kismajo angekündigt, dass sie die Stadt "sehr bald" zurück erobern würden.

Die Situation in Kismajo unterscheidet sich wesentlich von der in anderen Städten und Gebieten, die von der UIC kontrolliert werden. Im Allgemeinen begrüßt eine große Mehrheit der Bevölkerung die Machtübernahme durch die UIC, von der man sich Wiederherstellung normaler Lebensverhältnisse nach 15 Jahren Bürgerkrieg erhofft. In Kismajo hingegen hat es immer wieder Protestdemonstrationen gegeben, seit die islamistischen Milizen dort die Kontrolle übernahmen. Die Motive sind unterschiedlich. So gingen beispielsweise Hunderte von Händlerinnen auf die Straße, weil die UIC den Verkaufs des Rauschmittels Khat verbot, das sich in Somalia besonders während des moslemischen Fastenmonats Ramadan großer Beliebtheit erfreut. Andere Proteste richteten sich gegen die Schließung von Kinos durch die Islamisten oder brachten Klan-Interessen zum Ausdruck.

Kismajo könnte beim Einsatz einer geplanten "Friedenstruppe" aus mehreren afrikanischen Ländern als Landehafen eine Rolle spielen. Deshalb hat die Herrschaft über die Stadt strategische Bedeutung. Die "Übergangsregierung" setzt sich für eine Internationalisierung ihres Konflikt mit der UIC ein, während diese den Einsatz ausländischer Truppen in Somalia ablehnt.

Die UIC vertrieb im Juni eine Koalition pro-amerikanischer Warlords aus der Hauptstadt Mogadischu . Seither hat sie fast kampflos die Kontrolle über weite Teile Somalias übernommen. Der Kampf um Kismajo deutet auf eine Trendwende, auf stärkeren Widerstand der "Übergangsregierung" hin. Diese stützt sich dabei auf Interventionstruppen aus dem christlichen Nachbarland Äthiopien. Zwischen beiden Staaten herrscht seit Jahrzehnten Feindschaft. Der Einsatz äthiopischer Soldaten ist deshalb auch in Kreisen, die bisher auf Seiten der "Übergangsregierung" standen, umstritten.

Äthiopische Truppen griffen erstmals am Montag voriger Woche in die Kämpfe ein. Zusammen mit Einheiten der "Übergangsregierung" besetzten sie die nahe Baidoa gelegene Stadt Buur Hakaba, aus der sich die mit der UIC verbündeten lokalen Kämpfer zuvor kampflos zurückgezogen hatten. Nach wenigen Stunden rückten die Angreifer wieder ab, ohne dass der Sinn ihrer Aktion erkennbar war. UIC-Sprecher riefen nach dem Angriff auf Buur Hakaba zum "Jihad" gegen die in Somalia stationierten äthiopischen Soldaten auf. Die UIC schätzt ihre Zahl auf derzeit 3.500.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 16. Oktober 2006