KNUT MELLENTHIN

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Gespannte Lage in Somalia

Einen Monat nach der Einnahme der Hauptstadt Mogadischu durch die Union der Islamischen Gerichte (ICU) bleibt die Lage in Somalia gespannt. Die Afrikanische Union (AU), die 53 Staaten des Kontinents vertritt, und das nordostafrikanische Regionalbündnis IGAD (Inter-Governmental Authority on Development) bereiten eine Militärintervention mit "Friedenstruppen" aus mehreren afrikanischen Staaten vor. Das Thema Somalia soll, neben der Lage in der sudanesischen Provinz Darfur, das AU-Gipfeltreffen beherrschen, das am Wochenende in Gambia stattfindet. UNO-Generalsekretär Kofi Annan wird als Gast erwartet.

Die AU orientiert sich sehr einseitig auf die Unterstützung der sogenannten Überregierungsregierung Somalias, die in der Provinzstadt Baidoa residiert. Dieses Gremium wurde mit Hilfe der AU und der UNO vor zwei Jahren in Kenia gebildet. In Somalia selbst hat es nur sehr wenig Einfluss. Hauptpartner der Baidoa-Regierung ist Äthiopien, dessen christliches Regime den Einfluss der islamischen Fundamentalisten im Nachbarland zu bekämpfen versucht.

Eine internationale Militärintervention würde wahrscheinlich den seit 1991 in Somalia tobenden Bürgerkrieg neu entfachen. Zumal, wenn die "Friedenstruppen" - wie sich jetzt abzeichnet - total einseitig die Baidoa-Regierung gegen die ICU unterstützen würden und wenn sich gar Äthiopien mit eigenen Soldaten daran beteiligen würde. Die ICU lehnt denn auch eine ausländische Intervention schärfstens ab. Ihrer Ansicht nach hat Somalia heute, nachdem die islamischen Milizen Anfang Juni eine Koalition CIA-finanzierter Warlords aus Mogadischu vertrieben haben, erstmals seit 1991 die Chance, seine Probleme aus eigener Kraft und ohne Einmischung politisch zu lösen.

Unterdessen hat die ICU damit begonnen, in den von ihr kontrollierten Gebieten, vor allem in Südsomalia, eigene Verwaltungsstrukturen aufzubauen. In diesem Zusammenhang wurde vor einigen Tagen ein "Rat" (Schura) gebildet, dessen Funktion sich anscheinend zwischen einer politischen Leitung der ICU und einem provisorischen Parlament bewegt. Als Vorsitzender des neuen Gremiums wurde Scheikh Hassan Dahir Aweys gewählt, der auf einer "Terroristen"-Liste der US-Regierung steht. In den 90er Jahren war Aweys Chef der al-Ittihad al-Islami, der damals bedeutendsten islamistischen Miliz Somalias. Die US-Regierung sagte ihr Verbindungen zu al-Kaida nach.

In einer ersten Reaktion hat die US-Regierung erklärt, dass sie jeden Kontakt zu Aweys ablehnt, aber Gespräche mit "gemäßigten" Kräften innerhalb der ICU, wie etwa deren Vorsitzendem Scheikh Scharif Ahmed, nicht grundsätzlich ausschließt. Am Donnerstag hat jedoch die Afrika-Verantwortliche im Außenministerium, Jendayi Frazer, mitgeteilt, dass Washington derzeit überhaupt keine Gespräche mit der ICU führen will, da diese die Übergangsregierung schwächen könnten. Gleichzeitig kündigte sie Druck auf Saudi-Arabien und Jemen an, damit diese ihre Unterstützung für die ICU einstellen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 1. Juli 2006