KNUT MELLENTHIN

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Internationale Militärintervention in Somalia?

Die US-Regierung will sich offenbar im Sicherheitsrat für eine internationale Militärintervention in Somalia einsetzen. Das ist einer Ankündigung von Patrick Ventrell, Sprecher der US-Mission bei den Vereinten Nationen, zu entnehmen. Er sagte am Freitag voriger Woche in New York: „Die USA betrachten die Entsendung einer UN-Friedenstruppe als wesentlich für die Stabilität in Somalia. Wir arbeiten mit dem Sicherheitsrat und anderen Partnern, um eine Resolution des Sicherheitsrats zu diesem Thema vorzubereiten.“

Ebenfalls am Freitag hatte ein Sprecher des äthiopischen Außenministeriums, Wahide Belay, völlig überraschend angekündigt, dass Äthiopien zum Jahresende seine Truppen aus Somalia zurückziehen werde, „ganz egal, was passiert“. „Wir haben unsere Arbeit getan und sind stolz darauf“, sagte Belay, „aber die Erwartungen, die wir an die internationale Gemeinschaft hatten, wurden nie erfüllt.“ Für Äthiopien sei es unzumutbar, seine Truppen weiter in Somalia zu lassen. „Aber wir werden uns auf verantwortungsbewusste Weise zurückziehen.“

Der letzte Satz relativiert die Ankündigung bereits wieder. Wohl nicht ganz zufällig nahm Belay die bekannte Formulierung des nächsten US-Präsidenten Barack Obama auf, er wolle die im Irak stationierten US-Truppen „auf verantwortungsbewusste Weise“ zurückholen. Also nicht nach einem definitiven Zeitplan, sondern abhängig von der Entwicklung der Lage.

Um Belays Ankündigung richtig einzuschätzen, muss man auch berücksichtigen, dass er sie lediglich in einem Telefoninterview mit der französischen Nachrichtenagentur AFP geäußert hatte. Es gibt bisher keine offizielle Erklärung der äthiopischen Regierung in diesem Sinn. Premierminister Meles Zenawi sprach, ebenfalls am Freitag, auf einer Pressekonferenz in Sana’a (Jemen) lediglich unbestimmt von Vorbereitungen auf einen Abzug, da die äthiopischen Truppen „nicht unbegrenzt lange“ in Somalia bleiben könnten. Allerdings wurde Belays Aussage bis jetzt auch nicht dementiert. Anscheinend ist es dem Regime in Addis Abeba gar nicht unlieb, die Dinge vorerst noch in der Schwebe zu halten. Dem entsprechen widersprüchliche Meldungen aus Somalia. Während am Sonnabend berichtet wurde, dass Äthiopien mehrere hundert zusätzliche Soldaten in den Raum Baidoa – Sitz des nicht gewählten somalischen Übergangsparlaments – verlege, hieß es am Sonntag, dass ein äthiopischer Stützpunkt in Baidoa geräumt worden sei.

Ein militärischer Rückzug Äthiopiens aus Somalia würde für die demokratisch nicht legitimierte, im Lande völlig isolierte, aber vom UN-Sicherheitsrat unterstützte Übergangsregierung das Aus bedeuten. Ohnehin beschränkt sich jetzt schon ihr Einfluss auf die Hauptstadt Mosambik und auf Baidoa. Im größten Teil Somalias, einschließlich der meisten Städte, herrscht die von islamischen Fundamentalisten dominierte bewaffnete Opposition, die in den letzten fünf Monaten riesige Fortschritte gemacht hat. Der zudem durch interne Rivalitäten geschwächten Übergangsregierung hilft es auch wenig, dass sie eine Fraktion der Opposition mit dem Versprechen einer „Machtteilung“ für eine Zusammenarbeit gewinnen konnte.

Dass Äthiopien das Nachbarland Somalia wirklich den Islamisten überlassen will, erscheint völlig unwahrscheinlich. Vor diesem Hintergrund lässt sich der angekündigte Rückzug zum Jahresende als taktische Drohgeste zur Erzwingung einer schnellen internationalen Militärintervention deuten.

Knut Mellenthin
Junge Welt, 2. Dezember 2008