KNUT MELLENTHIN

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Schabab nicht zu schlagen

Trotz Militärintervention und westlichem Optimismus ist kein Ende des Bürgerkriegs in Somalia abzusehen.

Der Schweizer Philippe Lazzarini, bis Ende Juni höchster UN-Vertreter in Somalia, gab sich zum Abschied zuversichtlich: Zum ersten Mal seit Beginn des Bürgerkriegs 1991 gebe es einen Fahrplan für Frieden und Staatsaufbau, und die Somalis stünden hinter diesem Programm. Er glaube, dass „ein Wendepunkt“ erreicht sei.

Wenige Tage zuvor, am 26. Juni, hatten Kämpfer der islamistischen Organisation Al-Schabab einen Stützpunkt der afrikanischen „Friedenstruppe“ AMISOM in Lego überrannt. Der Ort liegt rund 100 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Mogadischo. Die Zahl der für diesen Angriff zusammengezogenen Kämpfer muss recht hoch gewesen sein, wahrscheinlich mindestens 500, denn in der vorgeschobenen Militärbasis waren 100 Soldaten aus Burundi und auch einige somalische Militärangehörige stationiert. Wie viele die Operation überlebten und fliehen konnten, ist nicht sicher bekannt. Nach übereinstimmenden Berichten wurden mehr als 50 burundische Soldaten getötet; weitere gerieten in Gefangenschaft. Al-Schabab zog mit den erbeuteten Waffen, Fahrzeugen und Munition ab.

Eine ähnliche Aktion fand am 1. September gegen den AMISOM-Stützpunkt Janale, 90 Kilometer südlich von Mogadischu statt. Die dort stationierten ugandischen Soldaten verließen fluchtartig das Gelände. Al-Schabab verbreitet ein Video, in dem große Mengen von erbeuteten Waffen und zahlreiche Leichen zu sehen sind. Die ugandische Regierung gibt an, dass bei dem Angriff lediglich elf Soldaten ums Leben gekommen seien, während die Islamisten behaupten, 70 Gegner getötet zu haben. Zur Planmäßigkeit der Operation gehörte die vorherige Zerstörung einer Brücke, um den Ugandern einen wichtigen Fluchtweg abzuschneiden.

AMISOM ist seit Frühjahr 2007 in Somalia aktiv. Sie hat ein Mandat der Dachorganisation afrikanischer Staaten, AU, das regelmäßig vom UN-Sicherheitsrat autorisiert wird, ist aber formal keine UN-Friedenstruppe. Sie war zunächst knapp 5.000 Mann stark und bestand ausschließlich aus ugandischen und burundischen Soldaten. Inzwischen sind Kenia, Äthiopien, Dschibuti und Sierra Leone hinzugekommen. Die derzeitige Personalstärke liegt bei 22.000 Mann. Kenia und Äthiopien sind direkte Nachbarn Somalias. Die Einbeziehung solcher Staaten hatte man bei Gründung von AMISOM ausdrücklich vermeiden wollen. Beide Nachbarländer haben auf somalischem Territorium halbstaatliche Gebilde errichtet, die unter ihrem Einfluss stehen: Äthiopien den „Südwest-Staat“, Kenia den „Jubaland-Staat“. Sie haben jeweils eigene Regierungen und Streitkräfte. Im Norden Somalias hat Galmudug einen ähnlichen halbstaatlichen Charakter.

Weder das Parlament noch der Präsident oder die Regierung Somalias sind durch allgemeine Wahlen zustande gekommen. Voraussichtlich wird sich die „internationale Gemeinschaft“ auch 2016, wenn die Amtszeit aller Institutionen ausläuft, mit einer informellen Neubesetzung ohne Wahlen begnügen.

Trotz einer EU-Ausbildungsmission unter deutscher Beteiligung, die schon im Februar 2010 begann, existieren nach wie vor keine selbstständig einsatzfähigen somalischen Streitkräfte. Die 22.000 Soldaten von AMISOM reichen zwar zur Aufrechterhaltung eines riesigen Militärstützpunkts rund um den internationalen Flughafen Mogadischus und zur Kontrolle über alle größeren Städte aus. Für die Beherrschung weiter Flächen ist die Personalstärke der Interventionstruppen jedoch viel zu gering. Deshalb wechseln nicht nur Dörfer, sondern auch mittelgroße Städte immer wieder den „Besitzer“. Zu umfangreichen Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung oder gefangene Gegner kommt es dabei kaum. Zumeist vollziehen die Wechsel sich „friedlich“, ohne dass Kämpfe stattfinden. Militärisch scheint Al-Schabab nicht zu schlagen, zumal sie in der Praxis – zum Beispiel öffentliche Dienste und Schulunterricht - mehr leistet als die außerhalb Mogadischus kaum vorhandene Zentralregierung.

Knut Mellenthin
Junge Welt, 12.9.2015