KNUT MELLENTHIN

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Somalia: Die bewaffnete Opposition auf dem Vormarsch

Ein Bündnis aus örtlichen Clans und Islamisten hat Ende voriger Woche die Kontrolle über die drittgrößte Stadt Somalias, Kismajo, übernommen. Die Stadt liegt im äußersten Süden des Landes und verfügt über einen wichtigen Hafen. Dem Machtwechsel in Kismajo waren zweitägige schwere Kämpfe vorausgegangen. Internationale Beobachter sprechen von 50 bis 100 Toten und 25.000 Flüchtlingen. Am Sonntag war es in der Stadt ruhig, gemeinsame Patrouillen der Milizen sicherten die Straßen.

Die Kämpfer der islamistischen Opposition hatten seit Jahresanfang zahlreiche Städte im Zentrum und im Süden Somalias besetzt. Es handelte sich dabei aber immer noch um Aktionen, die in wenigen Stunden abgeschlossen waren. Sie dienten hauptsächlich der Zerstörung von Regierungsgebäuden und Polizeistationen, der Erbeutung von Waffen, der Befreiung von Gefangenen und der politischen Propaganda.

Die Vorgänge um Kismajo unterscheiden sich grundsätzlich von solchen kurzzeitig angelegten Aktionen. Die Islamisten scheinen entschlossen, sich in der Stadt zu behaupten und dort in enger Zusammenarbeit mit den Führern der örtlichen Clans eine funktionierende Zivilverwaltung aufzubauen.

Mehr als 20 mal hat Kismajo seit Beginn des Bürgerkriegs 1991 den „Besitzer“ gewechselt, vermutlich öfter als irgendeine andere somalische Stadt. Die Milizen der Union der islamischen Gerichte (UIC) nahmen sie im September 2006 ein, nachdem sie die Truppen des Warlords Barre Hirale aus der Stadt und der angrenzenden Region vertrieben hatten. Am 1. Januar 2007 wurde Kismajo als letzte somalische Stadt von den äthiopischen Interventionstruppen besetzt, die die zwar international anerkannte, aber niemals gewählte Übergangsregierung gegen die Islamisten zur Hilfe gerufen hatte.

Im März 2007 zogen die Äthiopier aus Kismajo ab und überließen die Stadt dem Schutz von Truppen, die formal der Übergangsregierung unterstanden, in Wirklichkeit aber Milizen gebietsfremder Clans waren. Einen Monat später übernahmen wieder Hirales Truppen die Macht. Ihnen werden von der Bevölkerung zahlreiche Verbrechen – Morde, Vergewaltigungen, Raub und Plünderung – vorgeworfen. Sie wurden jetzt von den Islamisten und örtlichen Clans vertrieben.

Hirale, ein ehemaliger Verteidigungsminister der Übergangsregierung, ist Absolvent der elitären West Point Militärakademie der USA. Während des gesamten Bürgerkriegs blieb er zwar einerseits den Interessen der US-Administration verbunden, arbeitete aber zugleich überwiegend unabhängig und zum eigenen Vorteil. Der Übergangsregierung steht er zwar nahe, lässt sich aber nicht von ihr kontrollieren.

Die Islamisten beherrschen jetzt nach eigenen Angaben die gesamte, 500 Kilometer lange Straßenverbindung von Kismajo nach Mogadischu. Darüber hinaus ist ihr Netzwerk in weiten Teilen Somalias so dicht, dass die äthiopischen Truppen große Mühe haben, Nachschubkonvois nach Mogadischu durchzubringen.

Ein Waffenstillstandsabkommen, das die Übergangsregierung Anfang Juni mit einer kleinen Fraktion des Oppositionsbündnisses Allianz für die Wiederbefreiung Somalias schloss, blieb erwartungsgemäß ohne praktische Wirkung. Die Kämpfe haben seither sogar zugenommen. Einziges greifbares Ergebnis ist die Spaltung der Allianz.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 27. August 2008