KNUT MELLENTHIN

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Darf's ein bißchen mehr sein?

Natur gibt's nicht scheibchenweise

Mein Herz klopfte aufgeregt, der  Schreck saß mir in den Gliedern - sekundenlang starrten wir uns an. Für mich war es die erste Begegnung mit einem "echten, lebendigen" Fuchs - für ihn wäre es fast sein Todestag geworden. Reinecke hatte großes Glück an diesem kühlen Morgen, daß sein ungleicher "Gegner" eine vorsichtige und tierfreundliche Autofahrerin, und er selbst das sprichwörtliche "schlaue Füchslein" war, das gelernt hatte, die fremde Zivilisation mit Vorsicht zu behandeln.

Ich hatte es eilig, die ländlichen Straßen des Allgäus hinter mir zu lassen. Der Urlaub war vorbei, ich wollte nach Hause. Knapp 900 km waren zu schaffen - so fuhr auch ich schnell an der offenbar frisch getöteten, weil noch nicht von diversen Reifen zerfetzten, Katze vorbei und betrauerte später nur kurz den glücklosen Artgenossen meines flüchtigen Bekannten, der auf dem Seitenstreifen der Autobahn sein schmuckloses Grab gefunden hatte.
Vorbei die Zeit, als wir Kinder tote Vögel im heimischen Blumenbeet beerdigten, mit selbstgebasteltem Kreuz und Kränzen aus Gänseblümchen.

Freie Fahrt für freie Bürger

Zeit ist Geld, und komfortabel vor Wind, Wetter und unangenehmen Mitreisenden geschützt, im eigenen Auto möglichst schnell das Land zu durchqueren - für viele der  Inbegriff persönlicher Freiheit.
Der Blutzoll für diese Freiheit ist hoch: Jährlich sterben fast 10.000 Menschen auf deutschen Straßen, wir produzieren Querschnittsgelähmte, Amputierte und weitere Langzeitbehinderte.
Wir hoffen, daß immer nur die anderen den Tribut zahlen - naturgemäß sind dies die Schwächeren: Die mit den billigeren Autos, Kinder - und eben auch Tiere opfern wir unserer PS-starken "Heiligen Kuh". (Wobei er Vergleich hinkt; außerhalb Indiens ist niemandem eine Kuh heiliger als sein Blechkamerad.)
Doch geht es mir nicht hauptsächlich um Wahn und Sinn von Individual- und Berufsverkehr. Es gibt genug Informationen zur diesbezüglichen Zerstörung der Umwelt, und kompetentere Kollegen haben sich zu diesen Themen bereits geäußert.

Keineswegs möchte ich den Geist "guter, alter Zeiten"  beschwören; moderne Technik bietet faszinierende Möglichkeiten - aber eben auch deren Mißbrauch. Autobahnen und Schnellstraßen beeinträchtigen nicht nur die Lebensqualität der Anwohner, die immer breiter werdenden Straßen zerschneiden auch die Lebensräume unzähliger Tiere.
Tierschutz beinhaltet nicht nur die Rettung eines mißhandelten Hundes; oder die Liebe zur eigenen Katze. Auch das ist leider nicht selbstverständlich; aber ehrlich gesagt, dieser "private" Tierschutz tut nicht weh und kostet nicht viel. Aber wären Sie auch bereit - und sei es nur in geringstem Maße - hin und wieder, zum Wohl der Tiere, auf eine lieb- und selbstverständlich gewordene Annehmlichkeit zu verzichten?
Denken Sie bei der  Ihrer nächsten Fahrt einfach mal darüber nach, daß es nicht nur um Ihr Leben geht, wenn auf dem Straßenschild vor Wildwechsel gewarnt wird.

Ich will Kühe

Nicht nur der "Ich will Kühe"-Spot des Reiseunternehmens TUI wirbt mit der gleichzeitigen Befriedigung aller erdenklichen (Urlaubs-)Wünsche. Wärme, Sonne, Swimmingpool - und oben drauf noch die Holsteiner Schwarz-Bunte.
Wir haben das große Glück, auf der Butterseite der  Erde zu leben. Wer  Wohnung und Arbeit hat, überläßt das Wort Verzicht gern den Erinnerungen der Nachkriegsgeneration. Schon Kleinkinder bekommen Computerspiele und Markenkleidung auch "außer der Reihe"; der Wunschzettel für den Weihnachtsmann ist so antiquiert wie die Beschränkung auf saisonales Obst und Gemüse.
Wir sind gewohnt (und bestehen darauf), alles immer und sofort zu bekommen. Und billig soll es sein!
Doch gerade  der billige Jakob hat seinen Preis: Menschen in der Dritten Welt, die, oft unter unzumutbaren Bedingungen, für einen Hungerlohn unsere "günstigen" Konsumgüter produzieren, und - ganz am unteren Ende der Werteskala - die Tiere. Seien es nun Wildtiere, geopfert auf dem Altar der modernen Fortbewegung, oder die bedauernswerten industriell gehaltenen sogenannten Nutztiere.  

In den Supermärkten lockt das appetitlich und verkaufsfördernd angerichtete Überangebot von Lebensmitteln tierischer Herkunft Herrlich, auswählen können, nach Lust und Laune: Drei Scheiben Mortadella, fünf Scheiben Schinken - aber ohne Fettrand, bitte.  Der Preis für diesen Luxus? Für uns erstaunlich günstig, für die Tiere oft entsetzlich: Miserable Lebensbedingungen, folterähnliche Transporte, usw. - Sie kennen das.
Es gibt durchaus Alternativen. Ländliche Bauernkooperativen versuchen, per Direktvermarktung die Lebensqualität für Mensch und Tier zu erhöhen: Der Kunde  gibt eine Fleischbestellung auf und wird zur Schlachtzeit benachrichtigt. Die Vorteile: Natürlich gehaltene Tiere, die keinen Massentransport erleiden müssen und hochwertige Produkte liefern, sowie die Existenzsicherung vieler Kleinbauernbetriebe. Doch allzuviele Verbraucher scheuen die (vermeintlichen) Nachteile: Fleisch und Wurst gibt's nur dann, wenn geschlachtet wird - dann aber gleich in großen Mengen, und vielleicht nicht nur die alleredelsten Teile.
Aber Rinder, Schafe und Schweine bestehen eben nicht nur aus Filet; wenn sie schon für uns sterben müssen, wäre es doch geradezu bigott,  nur einen kleinen Teil ihres Körpers zu verwerten.
Ein Großeinkauf wäre preiswert, die Lagerung problemlos. (Außer ein paar Almhütten verfügt heute nahezu jedes deutsche Haus über Stromanschluß und Tiefkühlgerät.) Etwas Planung und guter Wille könnte so manchem Tier ein trauriges Schicksal ersparen.

Umsonst ist der Tod

"Nichts ist unmöglich", behauptet die Industrie; "Nichts ist umsonst" heißt dies in der Realität. Einer ist immer der Dumme, in der  Regel die Schwächsten und Hilflosen, oft unsere tierischen Mitgeschöpfe. Wir müssen keineswegs unser Leben radikal verändern, gar als Eremit in einer Waldhöhle konsumfrei eins mit der Natur werden. Aber wir Tierschützer sollten uns bewußt machen, daß wir generell auf Kosten unserer angeblichen Freunde leben. Es ist mehr als inkonsequent, ein Meerschweinchen aus einem zu engen Käfig zu befreien; aber, sei es Bequemlichkeit oder nur gedankenlos, billige Eier aus Legebatterien zu verwenden. Einen verwaisten Jungvogel aufzupäppeln; aber vehement für den Bau einer Straße einzutreten, die zwar ein Vogelschutzgebiet zerstört, uns aber eine Zeitersparnis von 0,3 Sekunden bescheren könnte.
Tierschutz ist nicht immer pflegeleicht und umsonst zu haben. Hin und wieder ein kleiner Verzicht auf vermeintlich Unverzichtbares. Vielleicht mal den Urlaub entspannt in der Bahn beginnen oder das Beispiel veränderter Einkaufspolitik aufgreifen. Umsonst wär' das sicher nicht.

Aber, und da schaudert's den modernen "3 Scheiben Salami, bitte - Menschen", was ist, wenn die Truhe leer, und der "Nachschub" noch nicht schlachtreif ist?
Tja, dann weiß ich auch nicht. Vielleicht essen Sie dann Käse.

Eileen Heerdegen

ich & du, Nr. 3/96