KNUT MELLENTHIN

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BSE, MKS und Orwells 1984:

Verbraucherschutz = "Neusprech" für den Massenmord an Tieren

In George Orwells pessimistischem Zukunftsroman "1984" wird eine Welt der permanenten, systematischen Überwachung und Manipulation beschrieben.
Ein zentrales Propagandainstrument des allgegenwärtigen Machtapparats ist das Neusprech: Worte, deren Sinngehalt ins Gegenteil verkehrt wird und die in ihrer verdrehten Umdeutung so lange durch alle zur Verfügung stehenden Medien wiederholt werden, bis sie von der Bevölkerung völlig verinnerlicht werden.

Um es an einem Beispiel aus der aktuellen Praxis zu verdeutlichen: Seit Renate Künast von den Grünen im Amt ist, spricht man in den Medien nicht mehr, wie früher, vom Landwirtschaftsministerium, sondern vom Ministerium für Verbraucherschutz. Die erste Großaktion der grünen Verbraucherschutz-Ministerin Künast besteht darin, im Rahmen eines EU-Programms 400.000 Rinder töten und ungenutzt "entsorgen" zu lassen. Nicht etwa, weil diese Rinder krank sind oder vielleicht mit kranken Tieren in Kontakt gekommen sein könnten. Noch nicht einmal der geringste Verdacht einer Erkrankung oder einer Ansteckungsgefahr besteht gegen die Todeskandidaten. Sie sollen sterben und vernichtet werden, um - das folgende sind wörtliche Zitate aus der Presse - "den einbrechenden Rindfleischmarkt zu stützen", "den Preisverfall für Rindfleisch zu stoppen", "den übersättigten Rindermarkt zu entzerren", "den Markt zu regulieren", "die Markt- und Preisstabilität wiederherzustellen". Denn laut offiziellen EU-Angaben ist der Rindfleischverbrauch seit Oktober 2000 um rund 27 Prozent zurückgegangen, und die Preise sind um 26 Prozent gefallen.  

Im Neusprech des Jahres 2001 bedeutet Verbraucherschutz: Künstliches Hochhalten oder Hochtreiben der Preise, unter eklatanter Missachtung nicht nur des Tierschutzgesetzes, sondern auch der Gesetze der rein theoretisch immer wieder hoch gepriesenen freien Marktwirtschaft. Die Marktgesetze des Kapitalismus sagen nämlich: Sinkt die Nachfrage nach einer Ware, wie jetzt aufgrund des weit verbreiteten Misstrauens die Nachfrage nach Rindfleisch, so fällt der Preis der Ware entsprechend. Dadurch wären die Produzenten gezwungen, auf die Ursache der sinkenden Nachfrage zu reagieren, also im konkreten Fall: Über Maßnahmen nachzudenken, mit denen sie dem weit verbreiteten Misstrauen entgegenwirken könnten. Beispielsweise durch striktere, mit hohen Strafandrohungen verbundene Futter-Kontrollen, konsequent überwachtes Verbot von Antibiotika und von Tiermehl-Verfütterung.

Der Markt-Theorie zufolge reguliert sich die Wirtschaft also weitgehend selbst - durchaus auch zum Nutzen der Verbraucher. Stattdessen wird dieser nun finanziell dreifach geschädigt:

  1. Durch künstlich hochgehaltene Rindfleischpreise;
  2. Durch stark steigende Preise für andere Lebensmittel, auf die er ausweichen könnte, wie etwa Geflügelfleisch, Schweinefleisch, Fisch.
  3. Durch die immensen Kosten der Tötung- und Vernichtungsaktion.

Diese Kosten sollen sich allein in Deutschland auf 360 Millionen Mark belaufen. Scheinbar tröstlich heißt es, dass wir davon nur rund 30 Prozent (also etwas über 100 Millionen) zahlen müssen, während die EU den Rest trägt. Aber woher kommen denn die Finanzmittel der EU? Deutschland zahlt überdurchschnittlich viel in die Kassen der europäischen Gemeinschaft ein, finanziert also in überdurchschnittlich hohem Maß auch das gesamte Rinder-Schlacht-Programm der EU mit.
Dessen Kosten werden auf rund 2 Milliarden Mark veranschlagt: 1,4 Mrd. aus EU-Mitteln, plus 600 Millionen, die von den einzelnen Ländern direkt zu tragen sind.

Insgesamt sollen in Europa zur "Marktregulierung" und "Preisstabilisierung" bis Ende Juni dieses Jahres zwei Millionen gesunde Rinder getötet und ihr Fleisch durch Vernichtung "vom Markt genommen" und "aus der Nahrungskette gezogen" werden. Die zusätzlichen Kosten werden in Deutschland aus dem Etat des Landwirtschaftsministeriums, das jetzt vorzugsweise in Neusprech als Ministerium für Verbraucherschutz bezeichnet wird, finanziert. Dieses Geld fehlt also für andere Aufgaben, beispielsweise für eine ökologische Umorientierung, von der jetzt plötzlich sehr viel die Rede ist, zu der aber jeder wirklich konkrete Ansatz immer noch fehlt.

Das gigantische Schlacht- und Vernichtungsprogramm der EU zur "Marktstabilisierung" beruht auf der freiwilligen Mitwirkung der Nutztier-Halter. Den landwirtschaftlichen Betrieben wird für das Töten ihrer Rinder vom Staat bzw. der EU eine Prämie gezahlt, die um mehr als 10 Prozent höher liegt als der Preis, den die Bauern zurzeit auf dem freien Markt erzielen könnten. Das ist also ein durchaus attraktives Angebot. Im Rahmen dieses EU-Programms sollen keine Tiere zwangsweise gegen den Willen der Besitzer getötet werden.

Ganz anders verhält es sich mit den Ausrottungen ganzer Herden, die mit der akuten "Gefahrenabwehr" gegen BSE und Maul- und Klauenseuche (MKS) motiviert werden.
Dass beides, EU-Schlachtprogramm und Schlachtungen zum vorgeblichen Zweck der Seuchenabwehr, für die Bevölkerung verwechselbar nebeneinander herläuft, kann den verantwortlichen Politikern nur wünschenswert erscheinen. Denn das Abschlachten ganzer Herden bei kleinstem Verdacht der Erkrankung auch nur eines einzigen Tieres ist zwar gleichfalls umstritten, kann aber allenfalls als - wenn auch überzogene - Maßnahme zum Schutz der Bevölkerung beschönigt werden. Hingegen das europäische Schlacht- und Vernichtungsprogramm entbehrt jeder politisch-ideologischen Rechtfertigung. Es ist purer staatsdirigistisch deformierter Kapitalismus.

Dieses ganz zu Unrecht als freie Marktwirtschaft bezeichnete Wirtschafts- und Gesellschaftssystem enthält "naturgemäß" die Tendenz zur Überproduktion, mit den daraus resultierenden, regelmäßig wiederkehrenden Krisen. Solange es sich dann nur um leblose Gegenstände handelt, die zur "Marktregulierung" (also zum Hochhalten der Preise) vernichtet oder vorübergehend eingelagert werden, mag dies angehen und erregt nur wenig Aufmerksamkeit und Widerspruch. Aber die Tötung von zwei Millionen Lebewesen, nicht etwa zur kulinarischen Erbauung des Menschen, sondern nur zum Zweck der Preistreiberei, weist unvermeidlich selbst den Blick der Abgestumpftesten auf unseren höchst problematischen Umgang mit unseren tierischen Mitgeschöpfen.

Vieles spricht für die Aussage von Ex-Beatle Paul McCartney, er wolle nichts essen, "was ein Gesicht hat". Aber man muss keineswegs radikaler Vegetarier sein, um angesichts der Tag und Nacht brennenden Scheiterhaufen tausender von Rinder, Schafen und Ziegen ein tiefes Grauen zu empfinden und an ganz andere Scheiterhaufen zu denken, die Deutsche vor 60 Jahren in Polen und Russland brennen ließen.

Vielleicht noch mehr als alles andere stößt die lebensverachtende Leichtfertigkeit ab, mit der die Verantwortlichen bei ihren Tötungsaktionen ans Werk gehen. Da wird beispielsweise in Nordrhein-Westfalen eine ganze Schafherde von mehr als 1000 Tieren kurzerhand abgeschlachtet und verbrannt, weil eines von ihnen aus England importiert worden sein soll.  Zwei Tage später steht dann das tiermedizinische Untersuchungsergebnis fest: Kein einziges Schaf war erkrankt oder infiziert. Macht nichts, es geht ja nur um Tiere! Und die müssen - wie Politiker und Kirchenfürsten unisono zur Gewissensbetäubung verkünden - ja sowieso irgendwann einmal geschlachtet werden.
Oder ein wirklich geschehener Fall aus England: Ein Schlächterkommando erscheint mit massivem Polizeischutz auf einem Bauernhof, tötet vor den Augen der entsetzten Familie sämtliche Tiere. Am folgenden Tag dann die Mitteilung: "Sorry, es war ein Irrtum. Eigentlich sollte die Herde eines ganz anderen Hofes getötet werden."

Die Tatsache, dass Tiere zum Zweck des Schlachtens und Aufessens gehalten werden, gibt selbstverständlich niemand das Recht, ihr Leben auch nur um einen einzigen Tag oder eine einzige Stunde mutwillig oder leichtfertig zu verkürzen. Das ist nicht nur ein Gebot der Ethik, sondern auch in unserem Rechtssystem ganz klar geregelt: Das Tierschutzgesetz verbietet das Töten eines Tieres "ohne vernünftigen Grund". An das Gesetz muss sich nicht nur der einzelne Bürger halten, sondern auch der Staat. Das Schlachten einer ganzen Herde wegen eines einzigen kranken Tieres oder sogar nur auf bloßen Verdacht hin, das Töten und Vernichten von Hunderttausenden Tieren zum Hochhalten der Fleischpreise, oder auch die "Einschläferung" von Hunden, weil ihre Rasse unerwünscht ist - alles das sind keine "vernünftigen Gründe" im Sinne des Tierschutzgesetzes. Es bleibt abzuwarten, wie die Gerichte mit den Klagen umgehen werden, die jetzt von Tierschutzorganisationen wegen der Massentötungen eingereicht worden sind. Leider darf man sich über den Ausgang der Verfahren nicht allzu große Hoffnungen machen. In der Praxis gelten Tiere immer noch als Sache, und als solche werden sie ausschließlich nach ihrem Geldwert taxiert. Der ist für eine Kuh mit knapp 1000 Mark niedriger als der eines Gebrauchtwagens.

Die derzeitige Ausbreitung der Maul- und Klauenseuche in einer Reihe europäischer Länder, mit den daraus resultierenden Massentötungen, ist Folge des Umstands, dass seit 1991/92 im EU-Bereich Impfungen gegen MKS generell verboten sind. Gleichzeitig ist auch die Erforschung neuer Impfstoffe - die MKS-Viren treten in vielen Varianten auf - weitgehend eingestellt worden.

Die EU hat diese Entscheidung damals angeblich getroffen, weil anderenfalls eine Reihe von Ländern - darunter insbesondere die USA und Japan - den Import von Rindfleisch und Rindern aus Europa stoppen würden. Man könnte dann nämlich geimpfte Rinder im Testverfahren nicht von infizierten unterscheiden, weil beide gleichermaßen Antikörper gegen den Virus entwickeln.

Ob die ethisch verwerfliche Argumentation mit einem drohenden Boykott wenigstens wirtschaftspolitisch plausibel ist, muss bezweifelt werden: Der Rindfleisch-Export spielt für Deutschland keine große Rolle. Tatsächlich importieren wir mehr als wir exportieren.

Außerdem wird man auf diese Weise nicht begründen können, warum das absolute Impfverbot auch für Zootiere gilt - offenbar sogar für gefährdete Arten.

Dass ein veterinärmedizinisch unbedingt zweckmäßiger und gebotener Impfschutz gegen eine höchst ansteckende Tierseuche - die entgegen anderslautenden Behauptungen in Einzelfällen auch auf Menschen übertragbar ist - von Staats wegen mit hoher Strafandrohung verboten wird, um die Exportinteressen einiger großer Konzerne zu schützen, stellt einen unfassbaren neuzeitlichen Wahnsinn dar, der weder mit der Ethik noch mit dem Gesetz zu vereinbaren ist. Zusätzlich pervers ist, dass die riesigen Folgekosten des Verzichts auf Impfungen gegen MKS nicht von den profitierenden Großkonzernen, sondern von den Steuerzahlern getragen werden müssen.

Dass dieses Impfverbot 1991/92 von einer CDU-FDP-Regierung beschlossen wurde und heute von einer rot-grünen Regierung "mit Zähnen und Klauen" verteidigt wird, zeigt leider, dass der ausschließlich am Profit weniger Großunternehmer orientierte Wahnsinn unabhängig von bestimmten Parteien ist. Das lässt wenig Hoffnung auf wesentliche Veränderungen in absehbarer Zeit.

Knut Mellenthin

"Tierschutz", 1/2001