KNUT MELLENTHIN

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Alarmgeschrei für hohe Gäste

Für Führer jüdischer Organisationen aus USA inszeniert sich Israel als Land im Kriegszustand

Israel hat wieder einmal mit Militäraktionen gegen den Iran gedroht. Anlass war ein Ereignis, von dem nicht einmal klar ist, ob es wirklich bevorstand, aber das hundertprozentig rechtmäßig und normal wäre: die Durchfahrt zweier Schiffe der iranischen Marine durch den Suez-Kanal. Ägypten ist völkerrechtlich verpflichtet, Militärschiffe aller Nationen durch den Wasserweg fahren zu lassen, sofern es sich mit den betreffenden Staaten nicht im Kriegszustand befindet. Auch israelische Kriegsschiffe haben diese kürzeste Verbindung zwischen Mittelmeer und Rotem Meer schon mehrfach benutzt.

Der rechtsextreme Außenminister Avigdor Lieberman behauptete am Mittwoch, zwei iranische Schiffe – eine Fregatte und ein Versorgungsfahrzeug – wollten den Kanal in der Nacht zum Donnerstag passieren, um nach Syrien zu gelangen. Als Adressaten seines Alarmrufs hatte der Minister sich eine hochrangige Delegation der 52 wichtigsten jüdischen Organisationen der USA ausgewählt, die sich derzeit für mehrere Tage in Israel aufhält. Journalisten hatten zu dem Treffen keinen Zutritt. Das Außenministerium verbreitete anschließend ein Kommunique. Diesem zufolge sprach Lieberman von einer „Provokation“, die das zunehmende Selbstbewusstsein und die „Chuzpa“ der Iraner beweise. Wörtlich soll er dann gesagt haben: „Unglücklicherweise zeigt die internationale Gemeinschaft keine Bereitschaft, sich mit den immer wiederkehrenden iranischen Provokationen zu befassen. Die internationale Gemeinschaft muss verstehen, dass Israel diese Provokationen nicht ewig ignorieren kann.“

Auch andere Regierungspolitiker waren im Einsatz, um den Gästen aus USA, die ein entscheidendender Multiplikator der israelischen Propaganda sind, den Ernst der Lage drastisch vor Augen zu führen. Premierminister Benjamin Netanjahu erzählte ihnen, dass Israel sich nach dem Umsturz in Ägypten „auf das Schlimmste vorbereiten“ müssen und dass freie Wahlen eine höchst gefährliche Sache seien, wie der Sieg von Hisbollah im Libanon zeige. Verteidigungsminister Ehud Barak teilte mit, dass israelische Soldaten jederzeit wieder „aufgerufen“ werden könnten, in den Libanon einzumarschieren.

Am Mittwochabend erläuterte der zuständige Direktor der ägyptischen Kanalverwaltung, Ahmed El-Manakhly, dass die geplante Durchfahrt von ausländischen Kriegsschiffen 48 Stunden zuvor angemeldet werden müsse. Ein solcher Antrag von iranischer Seite liege ihm jedoch nicht vor. Am Donnerstag morgen hieß es dann plötzlich, die Iraner hätten ihre Absicht aufgegeben. Andere Berichte behaupteten hingegen, die ägyptischen Behörden hätten eine Durchfahrt der iranischen Schiffe durch den Kanal abgelehnt.

Allen diesen Meldungen gemeinsam ist, dass sie am Donnerstagnachmittag unbestätigt waren. Alle beruhten auf Gerüchten von oft unzuverlässigen Blättern wie Al-Arabiya und angeblichen Aussagen nicht namentlich genannter ägyptischer Beamter. Von iranischer Seite lag bei Redaktionsschluss noch keine Stellungnahme vor.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 18. Februar 2011