KNUT MELLENTHIN

Funktionen für die Darstellung

Darstellung:

Seitenpfad

Am Beginn eines Weltkriegs gegen den "militanten Islam"?

In den einflussreichen und maßgeblichen Kreisen der USA scheint inzwischen Einigkeit hergestellt, in allernächster Zeit militärisch gegen Irak loszuschlagen und sich diesmal, anders als im Golfkrieg 1991, nicht mit weniger als dem Sturz Saddam Husseins zufrieden zu geben.
In dieser "zweiten Phase" des von Präsident Bush erklärten "Kriegs gegen den Terror" wird von der kunstvoll konstruierten weltweiten Koalition nicht mehr viel übrig bleiben. Vor allem das Verhältnis zwischen den USA, den arabischen Staaten und im weiteren Sinn großen Teilen der islamischen Welt wird durch einen Feldzug gegen den Irak stark belastet werden.

George W. Bush war in der ersten Phase des "Kriegs gegen den Terror" bemüht gewesen, diesen nicht als gegen den Islam gerichtet erscheinen zu lassen. Er unterstrich dies durch zahlreiche Gesten, wie beispielsweise gemeinsame Auftritte mit islamischen Geistlichen und Vertretern der in den Vereinigten Staaten lebenden Moslems. Ein großer Teil der amerikanischen Medien wandte sich schon damals gegen diesen demonstrativen Schmusekurs des Präsidenten und forderte schonungslosen Klartext auch gegenüber traditionellen, jahrzehntelangen Verbündeten der USA.

Am 11. Oktober, genau einen Monat nach den Angriffen auf World Trade Center und Pentagon, erschien in der "Washington Post" ein redaktioneller Leitartikel, betitelt: "Das arabische Paradox". Die größte einzelne Ursache des islamischen Terrorismus seien, so schrieben die Verfasser, "gerade diejenigen Regierungen, die jetzt vorgeben, die Vereinigten Staaten zu unterstützen". "Ägypten ist das wichtigste Beispiel. Sein autokratisches Regime (...) ist politisch erschöpft und moralisch bankrott. Mubarak, der die islamischen Extremisten in Ägypten nur mit Folter und Massakern in Schach hält, hat seinem Volk kein modernes politisches Programm oder eine Vision des Fortschritts als Alternative zu Bin Ladens muslimischer Opfertheorie anzubieten." Mubarak lebe von jährlich 2 Milliarden Dollar US-Hilfe und ermutige dafür "staatlich kontrollierte Geistliche und Medien, die anti-westliche, anti-moderne und anti-jüdische Propaganda der islamischen Extremisten zu unterstützen".

"Newsweek", eines der beiden großen politischen Magazine der USA, zog am 15. Oktober eine geschichtliche Bilanz der Entwicklung im Nahen Osten und auf der arabischen Halbinsel, die zu vernichtenden Ergebnissen kam. Die Modernisierung dieser Region sei gescheitert. Die meisten arabischen Staaten seien heute weniger frei als vor 30 Jahren. Im Vergleich mit den Erfolgen Israels falle das arabische Scheitern doppelt auf. "Das Regime der Saudis hat ein gefährliches Spiel getrieben. Es lenkt die Aufmerksamkeit von seiner eigenen schäbigen Bilanz ab, indem es religiöse Schulen und Zentren finanziert, die eine rigide, puritanische Spielart des Islam, den Wahhabismus, verbreiten. In den letzten 30 Jahren haben von den Saudis finanzierte Schulen Zehntausende halbgebildeter, fanatischer Muslime produziert, die die moderne Welt und die Nicht-Muslime mit großem Misstrauen betrachten."

Der von Saudi-Arabien exportierte Fundamentalismus habe auch Staaten außerhalb der arabischen Welt, wie Pakistan, infiziert. "Während die gemäßigte Mehrheit in die andere Richtung blickte, ist der Islam übernommen worden von einem kleinen, giftigen Element, von Leuten, die grausame Einstellung gegenüber Frauen, Erziehung, Wirtschaft und dem modernen Leben insgesamt befürworten."

Das "Wall Street Journal", eines der einflussreichsten Medien der amerikanischen Finanzwelt, schrieb am 30. Oktober in einem redaktionellen Leitkommentar, die amerikanisch-saudischen Beziehungen seien an einem Scheideweg. Die amerikanische Unterstützung für das Königshaus der Saudis habe diese nicht davon abgehalten, "diejenigen zu unterstützen, die Krieg gegen das Heimatland der USA führen". "Heute ist die vorherrschende Tatsache der amerikanisch-saudischen Beziehungen, dass dieser 'Freund' eine Hauptquelle für die Finanzierung von al-Qaida ist." Sollte in Saudi-Arabien ein radikaleres Regime an die Macht kommen, so hätte dies immerhin den Vorteil der Klärung der Verhältnisse. Es würde sich dann unmittelbar die Frage der Übernahme der saudischen Ölfelder durch die USA stellen, was praktisch das Ende der OPEC bedeuten würde.

Am 20. November erschien im "Wall Street Journal" ein Artikel von Eliot A. Cohen mit dem Titel: "Dies ist der Vierte Weltkrieg", wobei er den abgeschlossenen Kalten Krieg als dritten Weltkrieg zählte. Eliot Cohen ist Professor für Strategische Studien, gilt als Berater des Weißen Hauses und des US-Verteidigungsministeriums, und er war verantwortlich für die Herausgabe der offiziellen fünfbändigen Untersuchung der US-Luftwaffe über die Ergebnisse des  Bombenkriegs gegen Irak 1991.   

In seinem Leitartikel stellte Eliot Cohen klar: "Der Feind in diesem Krieg ist nicht der 'Terrorismus'..., sondern der militante Islam". Die USA sollten ihr Gewicht zugunsten der "pro-westlichen, anti-klerikalen Kräfte" in der muslimischen Welt in die Waagschale werfen. Der mit Unterstützung der USA herbei zu führende Sturz des theokratischen Regimes im Iran als nächstes Ziel nach der Vernichtung Bin Laden würde entscheidende Signalwirkung in der muslimischen Welt haben.

Die "Washington Post" widmete im Februar eine Artikelreihe der Entwicklung des Verhältnisses zwischen den USA und Saudi-Arabien. Die Beziehungen zwischen beiden Staaten würden in den kommenden Jahren in neuer Weise auf die Probe gestellt, hieß es da. Über die Behandlung Iraks und Irans, ebenso wie über den israelisch-palästinensischen Konflikt gebe es ernste Meinungsverschiedenheiten. Die Zukunft der amerikanischen Militärpräsenz in Saudi-Arabien - insbesondere der Prince Sultan Air Base, wo 5.000 Amerikaner stationiert sind - stehe zur Disposition. Politiker und Analytiker der USA seien außerdem besorgt über die Fähigkeit der saudischen Königsfamilie, die für die Stabilität des Landes dringend erforderlichen Reformen durchzusetzen.

All dies lässt nicht gradlinig darauf schließen, dass bisherige Verbündete der USA wie Saudi-Arabien oder auch Ägypten in absehbarer Zukunft Ziel militärischer Schläge sein werden. Es zeigt aber, dass die Dinge in Bewegung gekommen sind und dass in den kommenden Monaten und Jahren die gesamte Politik der USA im Nahen und Mittleren Osten völlig neu orientiert werden könnte. Der israelisch-palästinensische Konflikt wird von Scharon mit Duldung der USA, und anscheinend unumkehrbar, auf einen katastrophalen Punkt zugetrieben, der es den arabischen Regierung sehr schwer machen wird, ihr verbales Engagement so flach zu halten wie bisher. Der wahrscheinlich kurz bevorstehende Feldzug der USA gegen Irak wird Allen arabischen Staaten eine Positionierung abverlangen, selbst  wenn Washington mit direkten militärischen Anforderungen - insbesondere der Benutzung von Stützpunkten in arabischen Ländern - so zurückhaltend wie irgend möglich sein sollte. Es gibt jedoch auch Stimmen, die dazu aufrufen, den Krieg gegen den Irak dazu zu benutzen, um im Nahen und Mittleren Osten die Trennlinie zwischen "wirklichen Freunden" - Kuwait scheint derzeit der einzige Kandidat auf diesen Titel zu sein - und dem großen Rest zu ziehen.

In den USA scheint auf Allen Ebenen, von der Regierungsspitze bis zur Bevölkerungsstimmung, nach dem schnellen "Sieg" in Afghanistan die sachlich durchaus begründete Überzeugung vorzuherrschen, man sei militärisch auf Verbündete kaum noch angewiesen, und politisch seien Allianzen zwar wünschenswert, aber nur dann, wenn sie sich dem amerikanischen Führungsanspruch unterordnen. Das gilt letzten Endes nicht nur für die Araber, sondern auch für die Europäer.  

Knut Mellenthin

Neues Deutschland, 25. Februar 2002