KNUT MELLENTHIN

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Doppelaktion in Afrika

US-Regierung lässt Kommando-Aktionen in Libyen und Somalia durchführen.

Nach der Entführung eines libyschen Staatsbürgers aus der Hauptstadt Tripoli hat die Regierung des nordafrikanischen Landes die Obama-Administration um eine Erklärung des Vorfalls gebeten, über den sie angeblich nicht offiziell informiert worden war. Die USA hatten am Wochenende im Abstand weniger Stunden Kommando-Aktionen in Libyen und im nordostafrikanischen Somalia durchgeführt.

In der Nacht vom Freitag auf Sonnabend griffen Spezialtruppen, bei denen es sich um Angehörige der Navy SEALS gehandelt haben soll, die Hafenstadt Barawe an, die etwa 180 Kilometer südlich der somalischen Hauptstadt Mogadischu im Machtbereich der islamisch-fundamentalistischen Kampforganisation Al-Schabab liegt. Deren meist korrekt und genau informierende Sprecher berichteten kurz darauf über die Operation, noch bevor sie von der US-Regierung bestätigt wurde. Nach ihren Angaben waren die Angreifer von See her mit zwei Booten gelandet, die zu einem weiter draußen im Meer kreuzenden Kriegsschiff gehörten. Kämpfer von Al-Schabab hätten den Angriff nach etwa einer Stunde „zurückschlagen“ können. Allerdings verdächtigte die Organisation in ihrer ersten Stellungnahme Großbritannien und die Türkei, die Militäraktion durchgeführt zu haben. Möglicherweise hat Al-Schabab Indizien, die tatsächlich auf eine Beteiligung dieser beiden Länder hinweisen.

Dass das Kommando sich aufgrund der heftigen Gegenwehr überstürzt und ergebnislos zurückzog, geht auch aus der Darstellung der US-Regierung hervor. Sie begründet das allerdings damit, dass man Verluste unter der Zivilbevölkerung habe vermeiden wollen. Den bisher äußerst spärlichen offiziellen Angaben zufolge bestand das nicht erreichte Ziel der Operation darin, einen hochrangigen Al-Schabab-Kommandeur gefangenzunehmen. Über dessen Identität gibt es jedoch nur Vermutungen. Sprecher der Organisation erklärten dazu, es habe sich in dem angegriffenen Stützpunkt überhaupt kein hochrangiges Mitglied befunden, sondern nur einfache Kämpfer.

Weniger Stunden später wurde am Sonnabend in Tripoli der etwa 49jährige Nazih Abdul-Hamed al-Ruqai von Unbekannten überfallen und entführt, als er gerade ins Auto gestiegen war, um zum Morgengebet zur Moschee zu fahren. Seine Frau und sein Sohn wurden Zeugen des Angriffs. Nach ihren Aussagen waren acht bis zehn bewaffnete Männer beteiligt, die mit mehreren Fahrzeugen gekommen waren. Beide erklären übereinstimmend, dass einige der Angreifer miteinander in einem libyschen Dialekt gesprochen hätten. Die offizielle Stellungnahme der US-Regierung zu dem Vorgang besagt lediglich, dass sich Ruqai jetzt an einem „sicheren Ort außerhalb Libyens“ in ihrer Gewalt befinde und demnächst vor ein US-Gericht gestellt werden soll.

Über Ruqai, der unter seinem Kampfnamen Abu Anas al-Liby bekannter ist, weiß man bisher nur, dass die US-Regierung ihn verdächtigt, vor 15 Jahren an zwei Anschlägen gegen US-Botschaften in Ostafrika beteiligt gewesen zu sein. Dabei waren am 7. August 1998 in den Hauptstädten von Kenia und Tansania, Nairobi und Dar-as-Salam, insgesamt mehr als 220 Menschen durch Autobomben getötet worden. Ruqai, gegen den in den USA schon vor einiger Zeit formal Anklage erhoben wurde, soll angeblich die Umgebung der beiden Botschaften vorher ausgekundschaftet haben. Die US-Regierung hatte auf ihn ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar ausgesetzt.

Für die Behauptung amerikanischer Regierungsmitglieder, mit der Gefangennahme von Ruqai sei den USA „ein großer Schlag gegen Al-Qaida“ gelungen, gibt es jedoch nicht einmal Anhaltspunkte: Washington hat bisher absolut nichts mitgeteilt, was darauf schließen lässt, dass er in den letzten Jahren überhaupt noch in irgendeiner Weise politisch aktiv war oder gar, dass er ein bedeutendes Mitglied eines Terrornetzwerks gewesen wäre.

Der Entführte befindet sich jetzt vermutlich auf einem US-amerikanischen Kriegsschiff, wo er zunächst von Spezialisten mehrerer Dienste illegal „verhört“ wird, bevor er der Justiz übergeben wird.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 8. Oktober 2013