KNUT MELLENTHIN

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Kein Abzugsplan für Afghanistan

„In der Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat“ - so beginnen einige alte Märchen. In jenen weit zurückliegenden Zeiten konnte es passieren, dass ein grüner Fraktionsvorsitzender im ZDF auftrat und vor sich hin plauderte: „Die USA tun heute das, wovor sich die Bundesregierung drückt, nämlich einen Abzugsplan auch mit Zeitplänen vorzulegen und ein Ende dieses Einsatzes vorzubereiten.“

Jürgen Trittin bezog sich dabei, zumindest seiner eigenen Überzeugung nach, auf die Ansprache, die US-Präsident Barack Obama am Diensttag in der Militärakademie West Point gehalten hatte. Aber den Text der Rede kann der hoffnungsvolle Politiker nicht gelesen haben, denn dort kamen weder ein Abzugsplan noch Zeitpläne vor. Vielleicht wurde Trittin durch Zeitungskommentare inspiriert, deren Autoren sich die Rede gleichfalls nicht angesehen hatten und dafür ihre Phantasie spielen ließen.

Obama sprach lediglich davon, in 18 Monaten damit zu beginnen, „unsere Truppen nach Hause zu holen“. An anderer Stelle sagte er, der „Transfer unserer Streitkräfte“ werde im Juli 2011 beginnen. Er setzte hinzu: „Ebenso wie wir es im Irak gemacht haben, werden wir diesen Übergang verantwortungsvoll durchführen und dabei die realen Bedingungen im Land berücksichtigen.“ - Diese mittlerweile bekannten Formeln besagen, dass es keinen festen Termin gibt, sondern letztendlich die zuständigen Militärs kurzfristig entscheiden werden, was sie für vertretbar halten.

Das ist also eine wesentliche Einschränkung der Ankündigung. Außerdem bleibt festzuhalten, dass Obama lediglich vom „Beginn“ eines Truppenabzugs gesprochen hat, aber dass die Rede kein Wort darüber enthielt, in welch ungefährem Umfang und Tempo dieser stattfinden soll. Ein Zeitplan aber hat stets nicht nur einen Anfang, sondern auch ein Ende und ein paar Daten dazwischen.

Aus dem Text wird auch nicht klar, ob der Präsident einen generellen Abzug aller US-Besatzungstruppen meinte, oder ob er nur davon sprach, dass einige der 30.000 zusätzlichen Soldaten, die in den nächsten Wochen und Monaten nach Afghanistan geschickt werden sollen, ab Juli 2011 zurückgeholt werden könnten.

So viel Unklarheit in einer Rede, an der Ghostwriter, Berater und nicht zuletzt der Präsident selbst mehrere Tage oder sogar Wochen gearbeitet haben, ist höchstwahrscheinlich beabsichtigt. Obama wollte den Kräften in seiner eigenen Partei, die gegen die Eskalation des Krieges sind, ein tröstliches, aber unverbindliches Signal schicken. Von einem Abzugsplan mit Zeitrahmen wollte er nicht sprechen – und hätte es auch nicht gekonnt, ohne sich einem Proteststurm von der anderen Seite auszusetzen.

Auch so fielen die Reaktionen schon heftig genug aus. Neokonservative und republikanische Kommentatoren warfen dem Präsidenten vor, er habe „Al-Kaida und die Taliban“ zum Durchhalten ermutigt und Zweifel an der Ernsthaftigkeit der US-amerikanischen Kriegsanstrengungen bei den Verbündeten erzeugt.

Pentagon-Chef Robert Gates, Außenministerin Hillary Clinton und Generalstabschef Admiral Mike Mullen hatten am Mittwoch bei Anhörungen im Streitkräfte-Ausschuss des Senats und im Außenpolitischen Ausschuss des Abgeordnetenhauses einen schweren Stand. Obamas Wahlgegner John McCain, der von den Demokraten desertierte Hardliner Joseph Lieberman und andere Parlamentarier, hauptsächlich von den Republikanern, stellten gezielte Frage nach der Existenz eines Abzugsplanes und seiner Verbindlichkeit. Gates machte schließlich deutlich, dass es sich bei dem von Obama genannten Termin nur um „unseren derzeitigen Plan“ handele. Dieser sei jedoch völlig flexibel. Es sei beabsichtigt, ihn im Dezember 2010 neu einzuschätzen. Er selbst sei immer ein heftiger Gegner von „deadlines“ gewesen, im Irak schon und jetzt auch in Afghanistan. Worauf McCain mit der nicht zu konternden Feststellung nachsetzte: "Then it makes no sense for him to announce the date."

Knut Mellenthin

Junge Welt, 4. Dezember 2009