KNUT MELLENTHIN

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Licht in Bagram

Obama nutzt US-Stützpunkt in Afghanistan als Wahlkampfkulisse.

Für sechs Stunden verlegte US-Präsident Barack Obama am Dienstag seinen Wahlkampf nach Afghanistan. Schüttelte Soldatenhände auf dem Stützpunkt Bagram, überreichte zehn Verwundeten in einem Lazarett je ein Purple Heart, unterschrieb in Kabul gemeinsam mit seinem Amtskollegen Hamid Karsai ein angeblich hochbedeutendes Abkommen, und versprach zum Abschluss in einer Fernsehansprache aus Bagram den daheim gebliebenen Amerikanern Frieden auf Erden und das Blaue vom Himmel. Selten enthielt eine Präsidentenrede so viel billigen Schwulst, vom „Licht eines neuen Tages am Horizont“ bis zum „Sonnenlicht, das auf den emporragenden neuen Hochhaustürmen in Manhattan glitzert“. Kenner meinen, Obama habe damit exakt den Geschmack des breiten Publikums getroffen.

Über das jetzt unterzeichnete, für zunächst zehn Jahre geltende Strategische Abkommen zwischen Washington und Kabul weiß man im Grunde nur, dass es den USA das Recht sichert, noch mindestens bis zum Jahr 2024 in Afghanistan militärisch präsent zu bleiben. Ab Ende 2014 sollen die Aufgaben der dort stationierten amerikanischen Soldaten nur noch darin bestehen, Afghanen auszubilden und „Anti-Terror-Einsätze“ durchzuführen. Dieser Begriff deckt allerdings ein nahezu unbegrenztes Spektrum von Möglichkeiten ab. Formal sollen zwar künftig alle Operationen „unter afghanischer Führung“ stehen. Dieses Etikett wird aber schon heute sogar auf sogenannte Razzien geklebt, an denen nicht ein einziger afghanischer Soldat oder Polizist beteiligt ist.

Das Strategische Abkommen legt nicht fest, wie viele amerikanische Soldaten über 2014 hinaus im Lande bleiben werden. Das zu klären soll späteren Detailverhandlungen vorbehalten sein. Zum jetzigen Zeitpunkt war der US-Regierung nur wichtig, ein locker gestricktes Rahmenwerk unter Dach und Fach zu bringen, das sie am 20. Mai auf dem NATO-Gipfel in Chicago präsentieren kann. Sehr zum Verdruss Karsais fehlen in dem Abkommen auch konkrete Festlegungen, mit wie viel finanzieller Unterstützung sein Regime in den nächsten Jahren rechnen kann.

In seiner Fernsehansprache behauptete Obama zwar, die USA wollten „keine permanenten Stützpunkte in diesem Land errichten“, aber das ist lediglich ein bedeutungsloses Spiel mit Worten: Gebaut sind die Stützpunkte schon längst. Jetzt geht es nur noch darum, in welchem Umfang, zu welchen Konditionen und wie lange die US-Streitkräfte sie auch über 2014 hinaus nutzen können. Auch das soll erst in künftigen Verhandlungen zwischen Washington und Kabul festgelegt werden.

Dem Publikum daheim an den Fernsehern versprach Obama den Anbruch einer neuen Ära des Friedens und der Konzentration auf die wirtschaftlichen und sozialen Probleme im eigenen Land: „Meine amerikanischen Landsleute, wir sind mehr als ein Jahrzehnt lang unter der dunklen Wolke des Krieges gereist. Doch hier, in der frühmorgentlichen Dunkelheit Afghanistans, können wir das Licht eines neue Tages am Horizont sehen. (…) Jetzt, wo wir aus einem Jahrzehnt der Konflikte in Übersee und der Wirtschaftskrise in der Heimat auftauchen, ist es Zeit, Amerika zu erneuern – ein Amerika, in dem unsere Kinder frei von Furcht leben und ihre Träume verwirklichen können.“

Zur selben Zeit lässt der US-Präsident jedoch die amerikanischen Streitkräfte in der Region am Persischen Golf massiv verstärken und hält sich die „Option“ zu einem Krieg gegen Iran offen, der nach Einschätzung der meisten Experten unabsehbar lange dauern würde, große Teile der Welt in Mitleidenschaft ziehen würde, und dessen Folgen von manchen Politikern und Militärs als „katastrophal“ prognostiziert werden. Dazu sagte der Friedensnobelpreisträger in Bagram kein Wort.

Zwei Stunden nach dem Abflug Obamas aus Kabul kehrte der Alltag in die afghanische Hauptstadt zurück: Bei Bombenschlägen auf eine Wohnanlage ausländischer Sicherheitsfirmen starben acht Menschen, 17 weitere wurden verletzt.

Knut Mellenthin

5.4.2012