KNUT MELLENTHIN

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Misstrauen zwischen "strategischen Verbündeten"

US-Spezialeinheit soll pakistanische Atomwaffen ausschalten

Mit Dementis haben die USA und Pakistan auf einen Bericht von Seymour Hersh in der jüngsten Ausgabe des Magazins „The New Yorker“ reagiert. Der international bekannte Journalist spricht dort von „hochsensiblen Abmachungen“ zwischen beiden Ländern, die in Krisenfällen die Kontrolle über die pakistanischen Atomwaffen sicherstellen sollen. Hersh hatte 1969 das von US-Soldaten angerichtete Massaker im vietnamesischen Dorf My Lai aufgedeckt. 2004 war er der erste, der umfassend und mit vielen Einzelheiten über die Folterungen durch US-amerikanische Aufseher im irakischen Gefängnis Abu-Ghraib berichtete. Seine Recherchen, für die er jeweils Dutzende von Gesprächen in den betroffenen Ländern führt, gelten im Allgemeinen als seriös, auch wenn er die Namen seiner Quellen nicht nennt.

Pakistan testete erstmals 1998 mehrere nukleare Sprengsätze. Heute besitzt es nach verschiedenen Schätzungen zwischen 70 und 100 Atomwaffen, die hauptsächlich oder ausschließlich gegen das gleichfalls nuklear bewaffnete Indien gerichtet sind. Dem Bericht von Hersh zufolge begannen die Gespräche über die Sicherung des pakistanischen Arsenals nach dem 11. September 2001 unter Präsident George W. Bush und dem damaligen Militärdiktator Perez Muscharraf. Pakistan habe Experten des USA-Außenministeriums – dem der Auslandsgeheimdienst CIA untersteht – Einblick in sein nukleares Kommando- und Kontrollsystem sowie in seine Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen gegeben. Diese Zusammenarbeit sei unter dem neuen Präsidenten Barack Obama sogar noch intensiviert worden.

Als Fazit seiner Recherchen konstatiert Hersh aber auch, dass die US-Dienststellen nicht wissen, wo genau sich die pakistanischen Atomwaffen befinden. Zwischen beiden Seiten bestehe ein tiefes Misstrauen. Die Pakistanis seien überzeugt, dass die USA jedes militärische Geheimnis, in das sie eingeweiht würden, sofort an ihre Verbündeten, darunter auch an Indien, weitergeben würden. Zu denken ist – von Hersh nicht erwähnt – in diesem Zusammenhang auch an Israel, dessen Politiker und Militärs gelegentlich schon mal laut über „Präventivschläge“ gegen Pakistans „islamische Bombe“ nachdachten.

In seinem Artikel erwähnt Hersh ein US-amerikanisches „Spezial-Team“, das schon seit Jahren die „Entfernung“ oder „Unschädlichmachung“ von möglichst großen Teilen des pakistanischen Atomwaffen-Arsenals trainiere. Dieses sei vor kurzem durch eine Einheit des Joint Special Operations Command verstärkt worden, das für die Leitung von „Antiterror“-Kommandoaktionen zuständig ist. Die Einheit konzentriere ihre Pläne darauf, sich im Krisenfall der getrennt von den Atomsprengköpfen aufbewahrten Zünder zu bemächtigen. Als möglicher Krisenfall gilt ein Putsch anti-amerikanischer Militärs oder eine kriegerische Konfrontation mit Indien.

Die pakistanische Regierung und Militärführung haben in Antwort auf den Hersh-Artikel bestritten, dass es irgendwelche Abmachung mit den USA gibt, die die alleinige Kontrolle Pakistans über sein Nuklear-Arsenal beeinträchtigen. Die amerikanische Botschafterin in Islamabad, Anne Patterson, verkündete, die USA hätten nicht die Absicht, sich der pakistanischen Atomwaffen zu bemächtigen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 11. November 2009