KNUT MELLENTHIN

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Ohne Rückwärtsgang und Bremse

"Irans Atom-Zug rast vorwärts. Er hat weder Bremse noch Rückwärtsgang, weil wir sie ausgebaut und weggeworfen haben." - Wenn Präsident Mahmud Ahmadinedschad auf seinen zahlreichen Reisen durch alle Landesteile vor Menschenmassen spricht, kommt er leicht in Fahrt und bringt damit oft die iranischen Diplomaten, die weltweit als Meister ihres Fachs gelten, ins Schwitzen. Was Ahmadinedschad sagen wollte, ist dennoch eindeutig verständlich: Iran hat mit der als Geste guten Willens gemeinten freiwilligen Lahmlegung zentraler Teile seines Atomprogramms, die mehr als zwei Jahre lang praktiziert wurde, eine sehr negative Erfahrung gemacht.

Dieser Feststellung ist sachlich nicht zu widersprechen. Im November 2003 unterbrach Iran die Bau und Installationsarbeiten in Natanz, wo nach hochgesteckten Plänen einmal 50.000 Zentrifugen schwach angereichertes Uran für Reaktor-Brennstäbe produzieren sollen. Freiwillig, vorübergehend und rechtlich nicht verpflichtend sollte dieses Moratorium sein, wie es damals in einer Resolution des Vorstands der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) hieß. Das EU-Trio - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - hatte die Regierung in Teheran zu diesem "vertrauensbildenden" Schritt überredet. Als Gegenleistung wurden nicht genau definierte "wirtschaftliche Anreize" in Aussicht gestellt. Darüber hinaus war für jedermann klar, dass Iran sich Sicherheitsgarantien gegenüber den ständigen offenen Kriegsdrohungen der USA und Israels erwartete.

Aber statt Angebote zu machen, schob das EU-Trio weitere Forderungen nach. Im November 2004 dehnte Iran das Moratorium auf alle im weitesten Sinn mit der Uran-Anreicherung verbundenen Arbeiten aus. Die Konvertierungsanlage in Isfahan, wo Uranerz in Gas umgewandelt wird - eine Vorstufe der Anreicherung - wurde stillgelegt. Sogar die Produktion von Zentrifugen wurde eingestellt. Dafür erwarteten die Iraner nun aber einen Verhandlungsvorschlag innerhalb der nächsten drei Monate. Als dieser ausblieb, drohte Teheran im März 2005 mit der Beendigung des Moratoriums, ließ sich aber letztmals auf Ende Juli vertrösten. Das Angebot des EU-Trios, das schließlich Anfang August 2005 übergeben wurde, war für Iran so enttäuschend, dass umgehend die Arbeiten in Isfahan wieder aufgenommen wurden. Die Europäer brachen daraufhin die Gespräche ab. Seither ist Iran mit der Forderung konfrontiert, als Vorbedingung für neue Verhandlungen zum Moratorium zurückzukehren.

Auf Ahmadinedschads Bild vom Zug ohne Bremsen und Rücktritt antwortete US-Außenministerin Condoleeza Rice deshalb mit dem Spruch: "Sie brauchen keinen Rückwärtsgang. Sie brauchen eine Stopptaste". Sie sei persönlich zu Gesprächen auf höchster Ebene bereit, sobald Iran seine Arbeiten an der Uran-Anreicherung einstellt.

Glaubwürdig ist das jedoch nicht. Die US-Regierung hat auch in der Zeit des vollständigen iranischen Moratoriums - zwischen November 2004 und Anfang August 2005 - jedes direkte Gespräch abgelehnt. Und das äußerste Zugeständnis, das die US-Regierung im März 2005 in Aussicht stellte, war die Einstellung des Widerstands gegen die Aufnahme von Verhandlungen über die Aufnahme Irans in die Welthandelsorganisation (WTO) und die Lieferung von Flugzeug-Ersatzteilen. Keine Rede von Sicherheitsgarantien. Auch von einer Lockerung der von der US-Regierung verhängten Sanktionen kein Wort.

Ahmadinedschads Spruch vom Zug ohne Rückwärtsgang und Bremse ist bei unterschiedlichen Kräften der iranischen Politik und Gesellschaft auf Kritik gestoßen. Vor allem seit den spektakulären Bemerkungen zur "Auslöschung Israels von den Seiten der Geschichte" und zum Holocaust ist in der iranischen Führung das Gefühl verbreitet, der Präsident agiere gelegentlich zum Vorteil der Gegner Irans. Aus solchen erkennbaren Meinungsverschiedenheiten konstruieren westliche Politiker und Medien, dass Iran unter dem Druck der UNO-Sanktionen weich zu werden beginnt. Also, lautet die Schlussfolgerung, müsse man den Druck noch weiter verschärfen.

Diese Interpretation verkennt zwei wesentliche Faktoren. Erstens: Es war nicht Ahmadinedschad, sondern sein Vorgänger Muhammad Khatami, den man heute als "gemäßigt" gegen die "Hardliner" auszuspielen versucht, der am 27. Juli 2005 das Scheitern des Moratoriums bekannt gab. Das war zehn Tage vor Ahmadinedschads Amtseinführung. Der Westen, insbesondere das EU-Trio, hat den "Gemäßigten" in den Jahren 2003-2005 jeden noch so geringen Verhandlungserfolg verweigert.

Zweitens: Iran wird sich aufgrund negativer Erfahrung nicht noch einmal auf Vorleistungen ohne Gegenleistung einlassen. Zu Verhandlungen ohne Vorbedingungen, wie sie im Fall Koreas gerade zu einer Einigung geführt haben, gibt es keine Alternative. Anderenfalls wird der UNO-Sicherheitsrat zum Zug, der ohne Rückwärtsgang und Bremse, aber in immer schnellerem Tempo, dem Abgrund des nächsten Krieges entgegenrast.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 5. März 2007