KNUT MELLENTHIN

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The Never-Ending War

Auf die nächsten zehn Jahre!

Zehn Jahre nach dem 11. September 2001 führen die USA, teilweise gemeinsam mit ihren NATO-Verbündeten, Krieg in Afghanistan, Irak, Pakistan, Somalia, Jemen und Libyen. Der „War on Terror“, der von Präsident George W. Bush ausgerufen wurde und von seinem Nachfolger Barack Obama fortgesetzt und ausgeweitet wird, ist jetzt schon nach dem Vietnamkrieg die zweitlängste militärische Konfrontation in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika.

Der „Krieg gegen den Terror“ ist per Definition und seinem ganzen Wesen nach zeitlich und räumlich unbegrenzt. Er hat keine präzis definierbaren Gegner und kennt keine definitiven Kriterien für Sieg oder Niederlage, außer der platten Formel, dass diese „keine Option“ sei. Die USA könnten ihre unter dem Arbeitstitel „War on Terror“ zusammengefassten Militäroperationen noch jahrzehntelang fortsetzen, wie namhafte Neokonservative anfangs dramatisch verkündeten. Die Feinde würden Obama und seinen Nachfolgern nicht ausgehen, da sie sich diese durch die systematische Vermengung von gezielten Mordoperationen – wie der angeblichen Tötung Osama bin Ladens in Abbottabad – und wahlloser Aufstandsbekämpfung permanent selbst erschaffen.

Andererseits könnte irgendein künftiger US-Präsident das gigantische, Hunderte Milliarden Dollar verschlingende Phantom-Unternehmen aber auch zu einem willkürlich gewählten Zeitpunkt beenden, indem er beispielsweise nach irgendeinem spektakulären „Erfolg“ die Mission für erfolgreich abgeschlossen erklärt. Denn es handelt sich im absoluten Sinn des Wortes um einen war of choice, einen selbst gewählten, bewusst gewollten und frei bestimmten Krieg – sofern das Wort überhaupt den Sachverhalt trifft. Möglicherweise werden sich die USA von diesem Unternehmen aber erst verabschieden, wenn sie Kurs auf eine wirkliche militärische Konfrontation mit einem realen, ernsthaften Gegner – zu denken ist dabei in erster Linie an China – nehmen und ihre gesamte Strategie dementsprechend völlig umstellen.

Hemmschwelle gesenkt

Trotz seiner außergewöhnlichen Länge und seiner geographisch ausgedehnten Schauplätze ist der „Krieg gegen den Terror“ für die US-amerikanischen Streitkräfte sehr viel weniger verlustreich als frühere militärische Konfrontationen. Gemeinsam mit ihren Verbündeten haben die USA in sämtlichen seit 2001 geführten Militärkonflikten einschließlich des Irakkrieges weniger als 8.000 Soldaten durch Tod verloren. Zum Vergleich: In den Vereinigten Staaten sterben jährlich 15.-17.000 Menschen durch Gewaltverbrechen.

Hinsichtlich der Menschenverluste liegt der Civil War (1861-1865) bei weitem an erster Stelle der Kriege, die die Vereinigten Staaten im Laufe ihrer Geschichte geführt haben. Zwar starben mit 213.000 Soldaten und Milizionären weniger Amerikaner als im zweiten Weltkrieg (291.500), aber zugleich verloren auch über 600.000 Nicht-Kombattanten ihr Leben. Im ersten Weltkrieg wurden 53.400 US-Soldaten getötet, im Koreakrieg Anfang der 1950er Jahre und im Vietnamkrieg jeweils über 40.000. Die Angaben variieren durch unterschiedliche Berechnungsweisen.

Vergleichsweise – relativ zu Erfahrungen der Vergangenheit - geringfügige Verluste der eigenen Streitkräfte, wie gegenwärtig im „War on Terror“, senken eindeutig die Schwelle für den Beginn und die Fortführung militärischer Operationen. Verstärkt gilt das für Konflikte, in denen die USA fast ausschließlich mit Angriffen aus der Luft operieren und so gut wie gar keine eigenen Kräfte am Boden einsetzen, wie derzeit in Pakistan, im Jemen, in Somalia und Libyen.

Bewaffnete unbemannte Flugkörper, sogenannte Drohnen, stellen das vollkommene Instrument dieser neuen, weitestgehend risikofreien Form militärischer Einsätze dar. Waffentechnisch sind sie das wichtigste Produkt der vergangenen zehn Jahre. Sie kamen erst während des „Kriegs gegen den Terror“ zur Anwendung und wurden in dessen Verlauf aufgrund der praktischen Erfahrungen weiterentwickelt. Hinsichtlich der Zahl und Technologie dieser Flugkörper sowie des im ständigen Einsatz trainierten Personals haben die USA weltweit eine einsame, schwer einholbare Monopolstellung. Der Einsatz von Robotern auf dem Schlachtfeld wird voraussehbar künftig hinzu kommen. Die USA als einzige kriegführende Großmacht lernen dabei erheblich mehr und schneller als alle ihre Konkurrenten, denen sie außerdem auf dem Gebiet der Rüstungsausgaben weit voraus sind.

Verglichen mit früheren Kriegen, an denen die USA beteiligt waren, ist die Personalstärke ihrer Streitkräfte im zehnten Jahr des „War on Terror“ auffallend gering. 1.431.403 Männer und Frauen befanden sich nach offizieller Zählung am 31. Mai dieses Jahres im aktiven Militärdienst. Seit 1940 – dem letzten Jahr vor dem Eintritt der USA in den zweiten Weltkrieg – hatten die Zahlen nur zwischen 1996 und 2001 – nach dem Ende der Sowjetunion und des von ihr angeführten Militärpakts – etwas niedriger gelegen. Zwischen 1975 und 1990 hatten die USA nie weniger als zwei Millionen aktive Soldaten, 1970 während des Vietnamkriegs waren es sogar über drei Millionen und bei Kriegsende 1945 rund zwölf Millionen.

Diese Zahlen unterstreichen, dass der „War on Terror“ die US-amerikanische Gesellschaft vergleichsweise wenig belastet, wenn man von den finanziellen Kosten einmal absieht. Vor diesem Hintergrund ist zu befürchten, dass auch künftige US-Regierungen den Krieg noch viele Jahre lang auf gleichem oder sogar ausgeweitetem Niveau fortsetzen könnten, ohne dass es auch nur zu relevanten öffentlichen Debatten oder gar breiten Protesten im eigenen Land kommen würde.

Nur eine Gegenstimme

Die Generalvollmacht des US-Präsidenten zu weltweiten Militäroperationen und Mordaktionen beruht auf einer Resolution, die von beiden Häusern des Kongresses am 14. September 2001verabschiedet wurde und mit der Unterschrift von George W. Bush vier Tage später in Kraft trat. Die „Authorization for Use of Military Force Against Terrorists“ passierte das Repräsentantenhaus bei nur einer Gegenstimme, die von der demokratischen Abgeordneten Barbara Lee aus Kalifornien abgegeben wurde. Im Senat gab es lediglich zwei Enthaltungen, aber nicht ein einziges Nein. Mit diesem Dokument der Schande hat sich der Kongress weitgehend seines durch die Verfassung garantierten Rechts entledigt, in der Frage von Krieg und Frieden das entscheidende Wort zu haben.

Der relevante Passus des Beschlusses besagt, „dass der Präsident autorisiert ist, gegen jene Nationen, Organisationen oder Personen, von denen er der Meinung ist, dass sie die Terrorangriffe, die sich am 11. September 2001 ereigneten, planten, anordneten oder begingen, oder dass sie diese unterstützten oder dass sie solchen Organisationen oder Personen Unterschlupf gewähren, alle erforderlichen und geeigneten Gewaltmittel einzusetzen, um alle zukünftigen Aktionen des internationalen Terrorismus gegen die Vereinigten Staaten durch solche Nationen, Organisationen oder Personen zu verhindern.“

Einzig und allein auf diese vorauseilend erteilte Generalvollmacht stützen sich bis heute die militärischen Angriffe der US-Streitkräfte und des Auslandsgeheimdienstes CIA gegen Personen und „Ziele“ in Pakistan, in Somalia und im Jemen, ebenso wie auch die Kriegführung in Afghanistan. Die vom Kongress stillschweigend akzeptierten Voraussetzungen sind a) dass die Ereignisse des 11. September 2001 von Al-Qaida organisiert wurden und b) dass alle Kräfte, gegen die sich diese Angriffe richten, in enger Verbindung mit Al-Qaida stehen. Aber weder die eine noch die andere Behauptung wurde jemals in einem auch nur halbwegs rechtsstaatlichen Verfahren bewiesen.

Immerhin verpflichtet die bisherige Lage den Präsidenten zumindest formal noch dazu, die von ihm angeordneten Militäraktionen in einen irgendwie konstruierten Zusammenhang zum 11. September 2001 zu bringen. Selbst dieses kleine Restproblem könnte künftig entfallen: Der Verteidigungshaushalt für das Steuerjahr 2012 – ein Wälzer im Buchformat – enthält versteckt im Punkt 1034 folgenden Passus:

„Der Kongress bekräftigt, dass

1) die Vereinigten Staaten sich in einem bewaffneten Konflikt mit Al-Qaida, den Taliban und mit ihnen verbundenen Kräften befinden und dass diese weiterhin eine Gefahr für die Vereinigten Staaten und ihre Bürger darstellen (...)

2) der Präsident autorisiert ist, im laufenden bewaffneten Konflikt mit Al-Qaida, den Taliban und den mit ihnen verbundenen Kräften alle erforderlichen und geeigneten Gewaltmittel einzusetzen (...)

3) der gegenwärtige bewaffnete Konflikt Nationen, Organisationen und Personen einschließt, die

A) Teil von Al-Qaida, den Taliban oder mit ihnen verbundenen Kräften sind oder diesen substantielle Unterstützung leisten (…) oder

B) sich an Feindseligkeiten beteiligt oder diese direkt unterstützt haben, um einer unter A) bezeichneten Nation, Organisation oder Person zu helfen.“

Im Unterpunkt 4) wird die Berechtigung des Präsidenten bestätigt, „Kriegführende“ einschließlich der unter 3) bezeichneten Personen „bis zum Ende der Feindseligkeiten“, also praktisch unbegrenzt lange, gefangen zu halten. Logisch zu ergänzen wäre: ohne irgendeine Form von Gerichtsverfahren oder Öffentlichkeit.

Ausweitung der Kriegsvollmacht

Mit diesen Formulierungen wird die am 14. September 2001 vom Kongress erteilte, ohnehin schon sehr weitgehende Kriegsvollmacht nochmals erheblich ausgedehnt. Auffallend ist, dass der Präsident ermächtigt bleibt, auch Krieg gegen Staaten zu führen, die angeblich Al-Qaida unterstützen, obwohl nach dem Sturz der afghanischen Taliban nicht mehr ersichtlich ist, gegen wen sich diese Drohung eigentlich richten könnte.

Einen Sonderfall stellt die Kriegführung im Irak dar, die mit dem Überfall im März 2003 begann. Diese Invasion wurde zwar unter anderem auch mit einer angeblichen irakischen Unterstützung für Al-Qaida begründet, beruht aber auf einer speziellen Ermächtigung durch den Kongress, die unter dem Titel „Authorization for Use of Military Force Against Iraq“ vom Abgeordnetenhaus am 10. Oktober und vom Senat am 11. Oktober 2002 verabschiedet wurde. Sie ermächtigte den Präsidenten im voraus, 1) „die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten gegen die fortwährende Bedrohung durch den Irak zu verteidigen“, und 2) „alle den Irak betreffenden relevanten Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats durchzusetzen“.

Die gemeinsame Resolution des Kongresses wurde im Repräsentantenhaus mit 296 gegen 133 und im Senat mit 77 gegen 23 abgestimmt. Die demokratischen Abgeordneten votierten mehrheitlich mit Nein, ihre Parteifreunde im Senat jedoch mehrheitlich mit Ja.

Ein interessanter Streitfall hat sich in den letzten Monaten um die Beteiligung der USA am Krieg gegen Libyen entwickelt. Barack Obama vertritt dabei offen und explizit die zukunftsträchtige Position, dass der Präsident für Militäroperationen, bei denen keine Bodentruppen eingesetzt werden und das Leben amerikanischer Soldaten nicht in Gefahr ist, grundsätzlich keine Autorisierung durch den Kongress benötigt, weil diese keinen Krieg im Sinne der Verfassung und der Gesetzgebung der Vereinigten Staaten darstellen. Da die USA gegen Libyen nicht nur eine bewaffnete Drohne, sondern auch mehrere bemannte Aufklärungsflugzeuge im Einsatz haben, bezieht die behauptete Gefahrlosigkeit sich auf das Fehlen einer ernst zu nehmenden Luftabwehr.

Die Rechtmäßigkeit dieser Auslegung wird hauptsächlich von Republikanern bestritten – und zwar aus wahltaktischen Gründen. Es geht dabei im Kern weder um Kritik an der Kriegsbeteiligung in Libyen noch um die Verteidigung des Rechts des Kongresses, über das Führen von Kriegen zu entscheiden. Präsidenten beider Parteien haben sich in der Vergangenheit nicht gescheut, Militäroperationen unter Umgehung des Parlaments anzuordnen. Führende republikanische Politiker wie Obamas Gegner bei der Präsidentschaftswahl 2008, John McCain, warnen deshalb davor, den Streit um diese Frage auf die Spitze zu treiben. Schließlich wünscht man sich, wenn irgendwann wieder ein Republikaner im Weißen Haus sitzt, selbst möglichst wenig Beschränkungen

Sofern Obama mit seiner Interpretation durchkommt, stehen die Türen für künftige Militäroperationen, die als „Nicht-Krieg“ deklariert werden, weit offen. Bewaffnete Drohnen, die vor zehn Jahren noch nicht einmal operativ einsatzbereit waren, aber von denen die USA inzwischen mehrere tausend Stück besitzen, sind das ideale Instrument solcher „Nicht-Kriege“, wie sie jetzt schon in Pakistan und in sehr viel geringerem Ausmaß auch im Jemen und in Somalia geführt werden.

Mit dem Segen der UNO

Auf dem derzeit größten Kriegsschauplatz, in Afghanistan, operieren die USA und ihre Verbündeten ohnehin unter dem Mantel eines durch den UN-Sicherheitsrat erteilten und bisher alljährlich problemlos erneuerten Mandats. Am 20. Dezember 2001 autorisierte der Rat mit der Resolution 1386 einstimmig die Aufstellung der multinationalen Interventionsstreitmacht ISAF (International Security Assistance Force), zunächst lediglich mit dem beschränkten Auftrag, die afghanische Übergangsregierung „bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul und Umgebung zu unterstützen“. Die Entschließung enthielt eine Aufforderung an alle Mitgliedsstaaten der UNO, der ISAF Personal und Ausrüstung sowie Überflug- und Transitrechte zur Verfügung zu stellen.

Am 13. Oktober 2003 autorisierte der Sicherheitsrat mit der Resolution 1510 die Ausdehnung der ISAF auf ganz Afghanistan. Auch diese Entscheidung fiel einstimmig, wurde also von Russland und China mitgetragen. Derzeit ist die am 13. Oktober 2010 – erneut einstimmig - verabschiedete Resolution 1943 in Kraft, mit der das Mandat um ein weiteres Jahr verlängert wurde. Die Resolution enthält unter anderem auch eine spezielle Danksagung an die NATO für die Führung der ISAF und an alle an der Militärintervention beteiligten Staaten. („appreciation for the leadership provided by NATO and for the contributions of many nations to ISAF and to the OEF coalition“)

Obwohl die amerikanisch-britische Intervention im Irak, die am 20. März 2003 begann, zunächst ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrats stattfand – Frankreich und Russland hatten für den Fall einer Abstimmung ihr Veto angedroht – wurde auch dieser Krieg nachträglich durch ein Mandat legitimiert. Das erfolgte erstmals am 22. Mai Mai 2003 mit der Resolution 1483. 14 der 15 Ratsmitglieder stimmten zu; Syrien beteiligte sich nicht an der Abstimmung.

Auch dieses Mandat wurde mehrmals um ein Jahr verlängert, letztmalig am 18. Dezember 2007 durch Resolution 1790. Anschließend trat das noch unter Bush zwischen Washington und Bagdad abgeschlossene Status of Forces Agreement in Kraft, das einen vollständigen Abzug der US-Streitkräfte aus dem Irak bis Ende 2011 vorsieht.

Grundsätzlich kann man in der nachträglichen Mandatierung des umstrittenen amerikanisch-britischen Irak-Alleingangs eine starke Ermutigung zur Wiederholung dieses Vorgehens sehen. Darüber hinaus ist festzustellen, dass Russland, Frankreich und China als anfängliche Gegner dieses Alleingangs die alljährliche Prozedur der Mandatsverlängerung im UN-Sicherheitsrat nicht dazu genutzt haben, auf die Führung des Krieges, insbesondere auch die damit verbundenen schweren Menschenrechtsverletzungen und die Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, Einfluss zu nehmen.

Die nicht wirklich neue Praxis des UN-Sicherheitsrats, Missionen an die NATO oder andere US-geführte Koalitionen zu delegieren, ohne deren Umsetzung bestimmen oder wenigstens überwachen zu wollen und zu können, hat sich in den vergangenen zehn Jahren verfestigt.

Insgesamt betrachtet haben die USA für den „War on Terror“ und ihre sonstigen davon nicht mechanisch zu trennenden Militäroperationen, die seit dem 11. September 2001 unternommen wurden, erstaunlich viel internationale Akzeptanz oder zumindest Toleranz gefunden. Angriffe mit Drohnen, Cruise Missiles und Raketen gegen Pakistan, Jemen und Somalia, deren Ziele und Kriterien von der amerikanischen Regierung nicht einmal öffentlich erklärt werden, haben praktisch einen gewohnheitsrechtlichen Status erreicht, der innerhalb der Vereinten Nationen nicht einmal ernstlich in Frage gestellt wird. Größere internationale Proteste gegen das aggressive Vorgehen der USA gab es letztmals vor über acht Jahren, in der Vorbereitungsphase des Überfalls auf den Irak. Zehn Jahre „Krieg gegen den Terror“ scheinen einen traurigen, nachhaltigen Gewöhnungseffekt an gewaltförmige Methoden der Politikausübung produziert zu haben.

Während eines Besuchs in Kabul Anfang Juli verkündete der neue US-Kriegsminister Leon E. Panetta – zuvor Direktor des Auslandsgeheimdienstes CIA -, dass „wir kurz davor sind, Al-Qaida strategisch zu schlagen“. (New York Times, 9. Juli 2011) Die Washington Post titelte am 27. Juli: „Al-Qaida am Rande des Zusammenbruchs“ und zitierte einen anonym bleiben wollenden US-Regierungsbeamten mit der Aussage: „Wir können sogar das Ende von Al-Qaida als globaler, grenzenloser, vereinigter Jihad sehen“. Ein anderer Anonymus sprach davon, dass „wir sie weitgehend unfähig gemacht haben, katastrophale Angriffe gegen unser Territorium zu verüben“.

Unsterblicher Mythos

Falls denn diese Fähigkeit jemals bestand, müsste man hinzufügen, denn abgesehen vom 11. September 2001, dessen Aufklärung von der US-Administration beharrlich blockiert wurde und wird, gibt es nicht einen einzigen relevanten Beweis für die Operationsfähigkeit islamistisch motivierter Terrororganisationen auf amerikanischem Boden. Eine Statistik der Bundespolizei FBI über Opfer terroristischer Aktionen (ohne politische Aufschlüsselung) für die Jahre 1980 bis 2005 zeigt, dass es seit 2001 lediglich im Jahre 2002 zwei Tote gab, ansonsten nicht einen einzigen. Nebenbei ist dieser Aufstellung zu entnehmen, dass es seit 1980 überhaupt nur in zwei Jahren eine über 10 liegende Gesamtzahl von Todesopfern gab: 2001 durch den 11. September und 1995, als durch den Bombenanschlag des Rechtsextremisten Timothy McVeigh auf das Murrah Federal Building in Oklahoma City 168 Menschen getötet wurden.

Einem Artikel der Washington Post vom 8. Juli (15) zufolge, der sich auf Polizeiberichte berief, gab es in den USA seit dem 11. September 2001 bis zu diesem Zeitpunkt lediglich 51 „home grown jihadists plots or attacks“, wobei mit „plots“ vermutlich nur Pläne oder vereitelte Anschläge gemeint sind. Das macht pro Jahr durchschnittlich fünf Fälle, von denen etliche direkt durch das FBI und/oder andere US-amerikanische Dienststellen angestiftet oder maßgeblich beeinflusst worden waren. Die Gesamtzahl der Todesopfer islamistisch motivierter Aktivitäten in den USA liegt im unteren zweistelligen Bereich – in einem ganzen Jahrzehnt. Die Gefahr, beim Obstpflücken von der Leiter zu stürzen und sich das Genick zu brechen oder vom eigenen achtjährigen Sohn versehentlich beim Spielen mit dem Jagdgewehr erschossen zu werden, dürfte für Bürgerinnen und Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika realer sein.

Das hielt Barack Obama aber nicht davon ab, in einem auf den 28. Juni datierten Geleitwort zum aktuellen Jahresbericht „National Strategy for Counterterrorism“ zu schreiben: „Trotz unserer Erfolge stehen wir weiterhin einer bedeutenden terroristischen Bedrohung durch Al-Qaida gegenüber. (…) Obgleich es viele potentielle Gefährdungen unserer nationalen Sicherheit gibt, ist es die von Al-Qaida ausgehende terroristische Bedrohung, die im Jahrzehnt seit dem 11. September 2001 am sichtbarsten war.“ In dem Papier selbst heißt es, dass „die herausragende Gefahr für die Sicherheit der Vereinigten Staaten“ von „Al-Kaida, ihren Filialen (affiliates) und Anhängern“ ausgehe.

So lange eine Mehrheit der Menschen in den USA bereit ist, diesen Unsinn zu glauben oder darüber nicht einmal nachdenkt, werden ihre Streitkräfte, so ist zu befürchten, fortfahren, unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung weltweit Krieg zu führen.

Knut Mellenthin

Hintergrund, Heft 3/2011