KNUT MELLENTHIN

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US-Regierung deckte Massenmorde während des Korea-Krieges

Dokumente über die Massaker wurden 50 Jahre lang geheim gehalten. Mühsame Erforschung der Vergangenheit in Südkorea

100.000 Menschen, vielleicht auch 200.000, wurden im Sommer 1950 nach Beginn des Korea-Krieges im Auftrag des von den USA eingesetzten Militärregimes planmäßig ermordet. Darüber berichtete die Nachrichtenagentur AP am 18. Mai. Die Aufklärung dieser Verbrechen wurde jahrzehntelang unterdrückt und verhindert. Südkoreanische Historiker und Journalisten, die sich dennoch mit diesem finsteren Kapitel zu beschäftigen versuchten, wurden eingeschüchtert, entlassen, verhaftet. US-amerikanische Akten, die die umfangreiche Kenntnis einzelner Massaker bezeugten, teilweise sogar mit Bildmaterial, wurden unter Verschluss gehalten. Auch jetzt noch fand der AP-Bericht in den westlichen Mainstream-Medien kaum Beachtung.

Erst im Zuge der allmählichen Demokratisierung Südkoreas in den 90er Jahren war eine Erforschung der vier Jahrzehnte zurückliegenden Ereignisse in Gang gekommen. Im Dezember 2005 wurde nach südafrikanischem Vorbild eine Wahrheits- und Versöhnungskommission eingesetzt, die verbrecherische Taten in der Vergangenheit des Landes aufklären soll. Darunter neben der japanischen Herrschaft über Korea auch die Massenmorde der frühen 50er Jahre. Die mit einem Jahresetat von 19 Millionen Dollar ausgestattete Kommission soll voraussichtlich noch bis 201 arbeiten und dann einen Abschlussbericht vorlegen. Unter dem im Dezember 2007 gewählten konservativen Präsidenten Lee Myung-bak hat es die Kommission allerdings schwerer als bisher. So wird mit einer Kürzung der Finanzmittel und mit einer Beschränkung der ohnehin geringen Möglichkeiten der Kommission gerechnet. Die Forschungsarbeit leidet außerdem darunter, dass alle südkoreanischen Akten zu den Mordaktionen systematisch vernichtet wurden.

Der Hintergrund der Massenmorde ist außerhalb Koreas kaum bekannt: Nach der 1947 durch die USA erzwungenen Teilung des Landes und der Einsetzung des Marionettenregimes unter Diktator Syngman Rhee hatte es in der Bevölkerung des Südens starke Sympathien für die sozialistische Gesellschaftsordnung gegeben, deren Aufbau im Norden unternommen wurde. Das Regime ging dagegen mit großer Brutalität vor, was zu örtlichen Aufständen führte. 1950 waren mindestens 30.000 politische Gefangene in Haftanstalten und Lagern eingesperrt.

Als nach Beginn des Krieges am 25. Juni 1950 die Streitkräfte des Nordens rasch nach Süden vordrangen, begannen die organisierten Massenmorde. Die meisten Gefängnisinsassen, darunter auch viele unpolitische Straftäter, wurden mit LKWs zu improvisierten Hinrichtungsplätzen transportiert und dort am Rand ausgehobener Gruben durch Schüsse in den Hinterkopf getötet. Nicht anders erging es vielen Menschen, die nach 1947 zur politischen "Umerziehung" in eine Straforganisation gesteckt worden waren, deren Kartei zu Kriegsbeginn über 300.000 Namen umfasste. Zu den im Sommer 1950 Erschossenen gehörten auch Zehntausende Dorfbewohner, die pauschal festgenommen wurden, weil Polizei und Militär sie verdächtigten, sie könnten vielleicht die Streitkräfte des Nordens und die mit diesen zusammenarbeitenden Partisanen unterstützen.

Die nordkoreanischen Streitkräfte stießen bei ihrem Vormarsch auf zahlreiche Spuren der Massaker. Ihre Berichte wurden aber in den USA und Westeuropa als Propaganda abgetan. Als wohl erster westlicher Journalist hatte Alan Winnington, Korrespondent der kommunistischen britischen Tageszeitung Daily Worker, schon 1950 die Erschießung von mehreren Tausend Gefangenen in der Großstadt Daejeon gemeldet. Die US-Botschaft in London sprach von "Greuelmärchen", und die britische Regierung erwog sogar, Winnington wegen Landesverrat vor Gericht zu stellen.

Die inzwischen freigegebenen US-Akten belegen, dass amerikanische Militärs häufig Zeuge von Massakern waren. Einige US-Diplomaten wollten offenbar bei der südkoreanischen Regierung intervenieren, wurden aber durch den Oberbefehlshaber General Douglas MacArthur gebremst, der die Massenmorde als "innere Angelegenheit" Südkoreas bezeichnete.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 22. Mai 2008