KNUT MELLENTHIN

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Von der Schweinebucht nach Dallas

50 Jahre nach dem Mord an John F. Kennedy ist die Einzeltäter-These immer noch nicht glaubwürdig.

Vor 50 Jahren, am 22. November 1963, wurde John F. Kennedy in Dallas, Texas, ermordet. Der 35. Präsident der USA wurde von mehreren Geschossen getroffen, als er zusammen mit seiner Frau und dem Gouverneur des Bundesstaates, John Connally, und dessen Gattin im offenen Wagen durch die Stadt fuhr. Er war vermutlich schon tot, bevor er im Krankenhaus ankam. Kennedy war und blieb bis heute der jüngste Präsident, der durch Wahl ins Weiße Haus gelangte. Als er im Januar 1961 vereidigt wurde, war er 43, vier Jahre jünger als Barack Obama zu Beginn seiner Amtszeit.

Aus Anlass des Jahrestags treten in den Mainstream-Medien wieder die mittlerweile routinierten Journalisten an, die gern mit Polemiken gegen „Verschwörungstheoretiker“ brillieren, um sich über jeden lustig zu machen, der noch kritische Fragen stellt, wenn eine staatsoffizielle Version ganz offensichtlich riesige Löcher und Lücken aufweist.

Im Fall des Kennedy-Attentats kam 1979 sogar ein Ausschuss des US-amerikanischen Abgeordnetenhauses zur Schlussfolgerung, dass Kennedy vermutlich das Opfer einer Verschwörung geworden sei. Offenbar um Gerüchten nicht Vorschub zu leisten, präsentierte der Ausschuss eine Liste, wer nach seinen Erkentnissen nicht hinter dieser Verschwörung gestanden habe. Genannt wurden unter anderem die Regierungen der Sowjetunion und Kubas, Gruppen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität und Castro-feindliche Exilkubaner-Organisationen. Es könne freilich nicht ausgeschlossen werden, formulierte der Ausschuss vorsichtig weiter, dass einzelne Individuen aus diesen Kreisen in die Tat verwickelt waren.

Der Ausschuss stellte darüber hinaus in seinem Bericht fest, dass das FBI als federführende Ermittlungsbehörde der Möglichkeit einer Verschwörung zur Ermordung des Präsidenten nicht angemessen nachgegangen sei und dass es seine Erkenntnisse nicht wie geboten mit anderen Behörden geteilt habe. Im Bericht wird außerdem kritisiert, dass die Maßnahmen des mit dem Personenschutz beauftragten Secret Service für die Sicherheit Kennedys während seines Besuchs in Dallas lückenhaft gewesen seien, dass seine Leute in der Wagenkolonne des Präsidenten unzureichend  auf ihre Aufgaben vorbereitet gewesen seien, und schließlich auch, dass der Dienst schon vor dem Attentat über Informationen verfügt habe, die nicht sachgemäß ausgewertet und umgesetzt worden seien.

Trotzdem behaupten Autoren wie Sebastian Fischer in Spiegel Online: „So mag die offizielle Warren-Kommission von 1964 zwar teils schlampig, teils unter Zeitdruck, teils politisch gesteuert gearbeitet haben – doch ihr Ergebnis ist auch fünf Jahrzehnte später noch maßgeblich.“ (19.11.2013) Indessen hat die Warren-Kommission nicht nur so fehlerhaft gearbeitet, dass sich der Verdacht absichtlicher Vertuschung aufdrängt, sondern sie hat im entscheidenden Punkt nicht mehr konstatiert als die wohl immer noch unbestreitbare Tatsache, dass es für eine Verschwörung „keine Beweise“ gebe.

Das ist allerdings nicht weiter verwunderlich, da der einzige mutmaßliche Attentäter, der jemals festgenommen wurde, der 24jährige Lee Harvey Oswald, schon zwei Tage nach dem Mord von Dallas nicht mehr am Leben war: Jack Ruby, ein verschuldeter Nachtclubbesitzer mit engen persönlichen Beziehungen zu Schlüsselfiguren des „Mob“, der organisierten Großkriminalität, tötete Oswald in einem Kellergang des Polizeipräsidiums von Dallas aus ganz kurzer Distanz durch einen Pistolenschuss in den Bauch. Von den Verhören Oswalds bis zu diesem Zeitpunkt gibt es weder Tonaufzeichnungen noch Transkripte. Der verantwortliche Offizier aus dem Morddezernat der Polizei von Dallas, Will Fritz, hatte sich nach eigenen Angaben nur stichwortartige Aufzeichnungen gemacht und diese später zu einem Bericht zusammengefasst.

Dass Ruby überhaupt zum Todesschuss im schwer bewachten Polizeipräsidum kommen konnte, war nur durch ein „zufälliges Zusammentreffen“ von mehreren „unerklärbaren Schlampereien“ möglich: Eine Tür, die eigentlich verschlossen sein sollte, stand offen; Sicherungskräfte waren im richtigen Moment nicht an den Plätzen, wo sie laut Dienstplan hätten sein müssen. Seltsam war auch, dass die Polizei genau an dieser Stelle und in dieser Situation 40 bis 50 Presseleute zugelassen hatte. So konnte der Todesschuss auf Oswald live von schätzungsweise 60 Millionen amerikanischen Fernsehzuschauern beobachtet werden.

Die Warren-Kommission behauptete, Ruby habe „keine Verbindungen zum organisierten Verbrechen“ gehabt, was angesichts der öffentlich bekannten Tatsachen blanker Hohn war. Der bereits erwähnte Ausschuss des Abgeordnetenhauses präsentierte 15 Jahre nach dem Bericht der Warren-Kommission eine eindrucksvolle Liste von langjährigen Bekanntschaften Rubys in der Mafia-Prominenz von Dallas, Chicago und Las Vegas.

Ruby wurde wegen der Ermordung Oswalds 1964 zum Tode verurteilt. Er erreichte schließlich eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Bevor der Berufungsprozess beginnen konnte, wurde bei ihm jedoch Lungenkrebs diagnostiziert. Er starb am 3. Januar 1967. In seinen letzten Lebensmonaten behauptete er wiederholt, dass sowohl seine Tat als auch die Schüsse auf Kennedy Teil einer Verschwörung gewesen seien, über deren Hintergründe er noch zu sprechen vorhabe.  Möglicherweise war das frei erfunden. Vielleicht aber auch nicht.

Dem Warren-Bericht zufolge wurden auf das Fahrzeug des Präsidenten drei Schüsse abgegeben. Alle seien von Oswald gekommen, der sich in einem Lagerhaus postiert und von hinten geschossen habe. Der erste Schuss sei fehlgegangen, der zweite habe Kennedys Körper durchschlagen und dann den Gouverneur ebenfalls verletzt, und der dritte habe Kennedy in den Hinterkopf getroffen und sei tödlich gewesen. Der Ausschuss des Abgeordnetenhauses ging 1979 von vier Schüssen und einem zweiten Attentäter an einem anderen Standort aus. Das wurde sowohl aus Schallaufnahmen und Augenzeugenberichten als auch aus dem einzigen vorhandenen, von einem Amateur gedrehten Film, der die Momente des Attentats zeigt, geschlussfolgert.

Allerdings würde die Anwesenheit eines zweiten Täters nicht automatisch beweisen, dass Kennedy Opfer einer Verschwörung wurde. Ebenso wenig, wie die Möglichkeit, dass Oswald vielleicht wirklich der einzige Schütze war, ein sicherer Anhaltspunkt wäre, dass er nicht im Auftrag bedeutender Drahtzieher handelte.

Dass Oswald sich zur Tatzeit in dem Lagerhaus befand, wo er knapp vier Wochen zuvor eher zufällig einen Arbeitsplatz gefunden hatte, scheint durch Zeugenaussagen, unter anderem seines Chefs, ausreichend belegt. Die Fahrtroute des Präsidenten durch Dallas war mehrere Tage vorher von lokalen Zeitungen veröffentlicht worden. Die zurückgelassene Tatwaffe, ein italienischer Karabiner aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, dessen Restbestände in den USA damals viel gekauft wurden, wies Oswalds Fingerabdrücke auf. Außerdem hatte er Schmauchspuren an der Hand. Die Waffe hatte er sich im März 1963 unter falschem Namen an eine Postfachadresse schicken lassen. Ein Foto, vermutlich im Mai jenes Jahres aufgenommen, zeigt Oswald mit diesem Gewehr.

Der junge Mann hatte seinen Militärdienst bei den Marines absolviert. Seine Tests ergaben, dass er zwar kein erstklassiger, aber ein guter Scharfschütze war. Im Oktober 1959 emigrierte er in die Sowjetunion. Er heiratete dort im April 1961 eine russische Studentin; im Februar 1962 wurde ihr erstes Kind geboren. Im Mai 1962 beantragte er in der US-Botschaft in Moskau die Erlaubnis zur Rückkehr in die Staaten und erhielt sie nur eine Woche später tatsächlich, zusammen mit einem Darlehen für die Reisekosten. Auch die sowjetischen Behörden legten der Ausreise von Oswalds Frau keine Steine in den Weg.

Der ganze Vorgang ist sicher außergewöhnlich. Noch sehr viel außergewöhnlicher wäre, wenn Oswald nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion nicht ständig schärfstens observiert worden wäre. Dies umso mehr, da er unverhohlen sozialistische Neigungen bekundete und sowohl zu Pro-Castro-Kreisen als auch zu antikommunistischen Exilkubanern Kontakt hatte.

Hier ist eine Rückblende zum 17. April 1961 angebracht. An diesem Tag landeten rund 1.400 Exil-Kubaner in der Bahia de Cochinos, auf deutsch Schweinebucht, um die revolutionäre Regierung von  Fidel Castro zu stürzen. Unterstützt wurden sie durch Luftangriffe von insgesamt 26 US-amerikanischen Flugzeugen, die teils von Söldnern, teils von desertierten Kubanern und zum Teil auch von US-amerikanischen Militärpiloten geflogen wurden. Die Planung sah vor, dass die Invasion breite Unterstützung in der kubanischen Bevölkerung finden würde, dass zahlreiche Freiwillige sich anschließen würden, und dass man sehr schnell eine Gegenregierung ausrufen würde, die dann von den USA anerkannt werden könnte.

Stattdessen sahen sich die Aggressoren in kürzester Zeit von über zehntausend Milizionären eingekreist und ohne Munitionsnachschub. Drei Tage nach Invasionsbeginn kapitulierten die Letzten. 114 Angreifer wurden während der Kämpfe getötet – auf der anderen Seite auch 176 Angehörige der kubanischen Sicherheitskräfte – und über 1.100 gefangengenommen. Einige wurden hingerichtet, die meisten aber im Dezember 1962 im Tausch gegen Medikamente und Babynahrung zu ihren Auftraggebern in die USA zurückgeschickt. Offensichtlich war die kubanische Führung über alle relevanten Details der Invasionsplanung informiert gewesen.

Die Heiligenlegende, die von einigen Kreisen um Kennedy gewoben wurde, besagt, dass der junge Präsident, kaum nachdem er im Januar 1961 das Weiße Haus betreten hatte, mit den komplett fertiggestellten Invasionsplänen seines republikanischen Vorgängers Dwight D. Eisenhower bekannt gemacht worden sei und dann trotz besserer Einsicht zu unsicher und willensschwach gewesen sei, um das Unternehmen noch abzublasen.

Auf der anderen Seite entwickelte sich in exilkubanischen Kreisen, aber auch in den Reihen der CIA und anderer US-amerikanischer Beteiligter an der Invasionsplanung, eine Dolchstoßlegende gegen Kennedy: Angeblich war er der Hauptverantwortliche für das Fiasko, weil er der Invasion die Unterstützung entzogen oder vorenthalten habe, die für ihren Erfolg erforderlich gewesen wäre. Der Wunsch, sich an dem „Verräter“ zu rächen, wurde in vielen Familien verstärkt durch den Verlust von Söhnen oder anderen nahen Familienmitgliedern, die das Abenteuer nicht überlebt hatten.

Die Planung für eine Gegenrevolution hatte im März 1960 begonnen, nachdem Diktator Fulgencio Batista  am 1. Januar 1959 aus Havanna geflüchtet war und eine Woche später die von Fidel Castro und Che Guevara geführten Rebellen die Hauptstadt übernommen hatten. Die zentrale Rolle bei den Invasionsvorbereitungen fiel dem Auslandsgeheimdienst CIA zu, der sich auf die Erfahrungen stützen konnte, die er beim Sturz legitimer und populärer Regierungen im Iran 1953 und in Guatemala 1954 gesammelt hatte. Grundsätzliches Ziel war, wie es in dem von Eisenhower gebilligten Plan hieß, „die Ersetzung des Castro-Regimes durch eine Regierung zu bewerkstelligen, die mehr den wahren Interessen des kubanischen Volkes dient und für die USA annehmbarer ist,  und zwar auf eine Weise, die jeden Anschein einer US-Intervention vermeidet“.

Eine erste Maßnahme zu diesem Zweck war, die für die Invasion vorgesehenen Männer und deren Kommandostrukturen aus ihren bisherigen Quartieren in Florida zu entfernen und in andere Länder der Region zu verlegen. Guatemala wurde zum Ausbildungszentrum, während in Mexiko-City ein Hauptquartier eingerichtet wurde und Nikaragua den Ausgangspunkt der Invasion, hauptsächlich mit Schiffen, zum kleineren Teil aber auch mit Fallschirmspringern, bilden sollte. Außerdem wurden mit Unterstützung der USA Terror- und Sabotage-Akte kleiner exilkubanischer Kommandos begonnen. In Guatemala wurden mindestens 500 bis 600 Exilkubaner durch US-Offiziere ausgebildet – und halfen nebenbei auch noch bei der Niederschlagung einer Militärrevolte gegen das dortige autoritäre Regime.

Kennedy erfuhr vom Stand der Dinge spätestens am 18. November 1960, zehn Tage nach seinem Wahlsieg und gut einen Monat vor Amtsantritt, durch CIA-Chef Allen Dulles und den direkt für die Kuba-Planung zuständigen Abteilungsleiter Richard Bissell. Ohne Kennedys ausdrückliche Zustimmung hätte das Schweinebucht-Unternehmen nicht starten können. Ein Memorandum vom 19. Januar 1961, einen Tag vor Kennedys Vereidigung, für die zentrale Planungsgruppe zeigt, dass für fünf Punkte immer noch Klärungs- und Entscheidungsbedarf konstatiert wurde. Sie betrafen die Nutzung von Stützpunkten auf dem Territorium der USA für Luftangriffe vor und während der Invasion; den Ausgangspunkt der Invasion; Aktionen zur Gewinnung der Unterstützung lateinamerikanischer Staaten für das Landungsunternehmen; Zeitpunkt und Art der Anerkennung einer „Übergangsregierung“ der Konterrevolutionäre durch die USA; die Möglichkeit, die Invasion erheblich stärker und offener zu unterstützen als ursprünglich geplant.

Kennedy hat, so weit es aus den inzwischen freigegebenen Dokumenten deutlich wird, eine offene Verwicklung der USA in die Invasion gescheut und großen Wert auf die sogenannte „plausible deniabilty“ gelegt. Das ist ein Begriff aus der CIA-Sprache, der die Möglichkeit bezeichnet, rundum jede Beteiligung abzustreiten, ohne dabei völlig unglaubwürdig zu werden. Ein schönes Beispiel dafür ist der Brief, den Kennedy am 18. April, dem zweiten Tag der Invasion, an den sowjetischen  Regierungschef Nikita Chruschtschow richtete, nachdem ihm dieser seine Besorgnis mitgeteilt und vor den weltweiten Folgen einer Konfrontation gewarnt hatte.

Chruschtschow befinde sich in einer ernsthaften Fehleinschätzung der Vorgänge auf Kuba, schrieb Kennedy. Dort gebe es schon seit Monaten „einen offensichtlichen und wachsenden Widerstand gegen Castros Diktatur“. Es könne nicht überraschen, dass kubanische „Flüchtlinge“ von „jedem verfügbaren Mittel“ Gebrauch machten, um nach Kuba zurückzukehren und „ihre Landsleute in deren anhaltendem Freiheitskampf zu unterstützen“. „Das Volk der Vereinigten Staaten“ könne seine Bewunderung für diese „kubanischen Patrioten“ nicht verbergen, und die US-Regierung könne „keine Maßnahmen zur Erstickung des Geistes der Freiheit ergreifen“. Allerdings habe er früher schon erklärt und wiederhole dies jetzt, „dass die USA keine Militärintervention auf Kuba beabsichtigen“. Aber, und nun folgte eine klare Drohung Richtung Moskau, „im Fall irgendeiner Militärintervention äußerer Kräfte“ würden die USA „sofort“ ihre Verpflichtungen im Rahmen der damals noch extrem reaktionär dominierten Gemeinschaft Amerikanischer Staaten (OAS) erfüllen, „um diese Hemisphäre zu schützen“.

Dass der Sturz oder die Beseitigung Fidel Castros auch und gerade nach dem Fiasko der Schweinebucht eine Obsession Kennedys blieb, wird daran deutlich, wie er die unter Eisenhower begonnenen Aktivitäten weiterverfolgte. Das betraf sowohl die ohne massive Unterstützung der USA technisch unmöglichen Kommando-Aktionen exilkubanischer Banden gegen die Insel als auch die Weiterverfolgung der Pläne, Fidel Castro ermorden zu lassen.

Der hier mehrfach angesprochene Untersuchungsbericht eines Ausschusses des Abgeordnetenhaus der USA erwähnt, dass Fidel Castro dem demokratischen Senator George McGovern, der 1972 von seiner Partei zur Präsidentenwahl aufgestellt worden war, im August 1975 eine Liste mit 24 Mordversuchen der CIA gegen ihn übergeben habe. Wer sich an dieser Stelle fragt, wie Castro davon Kenntnis haben konnte, sollte sich an die Möglichkeiten der sowjetischen Aufklärung erinnern.

Der Ausschuss stellte seinerseits fest, er habe für die Zeit zwischen 1960 und 1965 „konkrete Beweise“ für mindestens acht Verschwörungen zur Ermordung Castros gefunden, an denen die CIA beteiligt gewesen sei. Außerdem sei mehrmals über den Einsatz von „bewusstseinsverändernden“, LSD-ähnlichen Drogen gesprochen worden, die dazu führen sollten, dass sich Castro während einer seiner oft stundenlangen Reden vor riesigen Menschenmengen in unzurechnungsfähigem Zustand präsentierte.

Im Ausschuss-Bericht wird außerdem, und das ist im Zusammenhang mit dem Kennedy-Attentat besonders interessant, ausführlich geschildert, wie die CIA bei ihren Mordplänen gegen Castro mit dem „Mob“ zusammenarbeitete. Eine zentrale Figur war dabei John Roselli, ein führendes Mitglied der Chicagoer Mafia, zu dem die CIA über den zwielichtigen Geschäftsmann und Mitarbeiter des Dienstes, Robert Maheu, Kontakt aufnahm. Roselli machte Maheu mit zwei anderen „Mobsters“, Santo Trafficante und Sam Giancana, bekannt. Letzterer gehörte zum Freundeskreis des Oswald-Mörders Ruby. Die konkreten Vorhaben gegen Castro, die sich aus dem von Maheu angebahnten Kontakt ergaben, scheiterten jedoch.

Im Juni und September 1975 sagte Roselli zu diesen Mordplänen vor dem Geheimdienstausschuss des Senats aus, der zugleich auch das Kennedy-Attentat untersuchte. Am 19. Juni 1975 wurde Sam Giancana erschossen – wenige Tage, bevor er ebenfalls vor diesem Ausschuss aussagen sollte. Am 23. April 1976 wurde Roselli dort auch zur Ermordung Kennedys befragt. Als der Ausschuss ihn einige Monate später nochmals zu diesem Thema vernehmen wollte, stellte sich heraus, dass Roselli am 28. Juli 1976 als vermisst gemeldet worden war. Am 9. August 1976 wurde seine schon in Verwesung übergegangene Leiche in einem Stahlfass gefunden, das in einer Bucht in der Nähe von Miami, Florida – der Hochburg der Exilkubaner-Führung – im Wasser trieb.

Die kubanische Revolution war für etliche US-amerikanische „Mobsters“ ein schwerer Schlag gewesen: Sie hatten die hauptsächlich von reichen Ausländern frequentierten Spielkasinos auf der Insel kontrolliert, die Fidel Castro schließen ließ. Gemeinsame Interessen und Aktivitäten mit  exilkubanischen Kreisen ergaben sich schon von daher automatisch.

Was die Exilkubaner selbst anging, lieferte die Regierung in Havanna nach dem Sieg über die Schweinebucht-Invasion ein interessantes Sozialporträt ihrer Gegner: Unter den mehr als 1.000 Gefangenen befänden sich 100 Plantagen-Besitzer, 67 Eigentümer von Mietshäusern, 35 Fabrikbesitzer, 112 Geschäftsleute, 194 ehemalige Soldaten der Batista-Truppen und 179 Personen, die von nicht erarbeitetem Einkommen lebten.

In der Schnittmenge dieser drei Milieus und ihrer spezifischen Interessen – der CIA, des „Mob“ und der Exilkubaner – zumindest die Organisatoren, wenn nicht sogar die Drahtzieher des Attentats von Dallas zu vermuten, ist eine plausible Annahme.

Knapp fünf Jahre nach John F. Kennedy, am 6. Juni 1968, wurde auch sein Bruder Robert ermordet. Erneut wurde ein geistig verwirrter Einzelgänger als alleiniger Täter präsentiert. In diesem Fall war es ein palästinensischer Einwanderer, der sich angeblich über pro-israelische Äußerungen von Robert Kennedy geärgert hatte. In Verbindung mit dem Mord von Dallas verdient jedoch die Tatsache Beachtung, dass Robert Kennedy damals Justizminister gewesen war. In dieser Funktion war er, unterstützt von seinem Bruder, dem „Mob“ durch eine massive Steigerung der eingeleiteten großen  Ermittlungsverfahren sehr schmerzlich auf die Füße getreten. Als Robert Kennedy ermordet wurde, war er Senator und bewarb sich um das Präsidentenamt.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 22. November 2013