KNUT MELLENTHIN

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Wie grün ist Washingtons Licht für Israel?

Die Verwirrung um die Haltung der US-Regierung zu einem möglichen Angriff Israels auf den Iran hält an. Vizepräsident Joe Biden hatte am Sonntag in einem Interview bekundet, es sei das Recht Israels und überhaupt jedes souveränen Staates, andere Staaten zu überfallen, wenn sie sich von diesen bedroht fühlen. Die USA würden Israel diesbezüglich keine Vorschriften machen. Mit dieser Antwort war Biden der Frage des Interviewers ausgewichen, ob ein israelischer Angriff die „richtige Vorgehensweise“ wäre. Im April hatte Barack Obamas Vize auf eine ähnliche Frage noch eindeutig geantwortet: „Ich glaube nicht, dass Premierminister Netanjahu das tun würde. Ich denke, er wäre nicht gut beraten, wenn er das machen würde.“

Am Dienstag schaltete sich der US-Präsident persönlich ein, um den fatalen Eindruck zu korrigieren, Biden habe Israel im Namen der US-Regierung freie Hand für Militärschläge gegen Iran gegeben. Da Obama aber gleichzeitig jeden Anschein einer kritischen Abgrenzung von den Ausführungen seines Vizes vermeiden wollte, verfehlte er das eigentliche Thema.

Der US-Sender CNN hatte Obama die Frage gestellt: „Geben Sie Israel grünes Licht?“ - Obamas Antwort: “Absolut nicht. Und ich halte es für sehr wichtig, dass ich mich so klar wie möglich ausdrücke und dass unsere Regierung bei diesem Thema so konsequent wie möglich ist.“

“Ich glaube, Vizepräsident Biden hat eine grundsätzliche Tatsache festgestellt, dass wir nämlich nicht anderen Ländern diktieren können, was ihre Sicherheitsinteressen sind. Wahr ist ebenso, dass es die Politik der USA ist, den Versuch zu unternehmen, die Angelegenheit der iranischen Nuklearkapazitäten auf friedliche Weise durch diplomatische Kanäle zu lösen. Das ist unsere Politik, darüber habe ich während der letzten zwei Jahre gesprochen, wir wollen das fortsetzen. Wir haben den Israelis direkt gesagt, dass es wichtig ist, diesen Versuch zu unternehmen und die Sache in einem internationalen Rahmen auf eine Weise zu lösen, die keinen großen Konflikt im Nahen Osten schafft.“

“Das ist allerdings ein harter Job und niemand macht sich irgendwelche Illusionen, dass es leicht gehen wird. Ich habe immer wieder gesagt, dass wir, die Vereinigten Staaten, uns das Recht vorbehalten, und dass ich als Oberkommandierender der Streitkräfte mir das Recht vorbehalte, alle Aktionen durchzuführen, die erforderlich sind, um die Vereinigten Staaten zu schützen. Aber wir streben eine friedliche Lösung dieses Konflikts an und ich denke, das ist immer noch möglich. Doch letzten Endes sind es die Iraner, die an einem bestimmten Punkt die Gelegenheit ergreifen müssen, die wir ihnen anbieten.“

Obamas Worte wurden weithin als Zurechtweisung Bidens interpretiert. Bei Spiegel Online verlor man völlig die Bodenhaftung und phantasierte: „US-Präsident verweigert Israel Erlaubnis für Angriff auf Iran. Verwirrende Signale aus der US-Regierung: Barack Obama hat seinen Stellvertreter Joe Biden öffentlich zurückgepfiffen. Washington werde einen israelischen Angriff auf Irans Atomanlagen nicht dulden, stellte der US-Präsident klar. Sein Vize hatte zuvor eine andere Linie vertreten.“

In Wirklichkeit hat Obama die Stellungnahme seines Vize bekräftigt, dass Israel für einen Angriff auf Iran kein grünes Licht der US-Regierung braucht, sondern in seinen Entscheidungen völlig frei ist. Frei nach der berühmten Sentenz des Films Love Story kann man sagen: „Special Relationship bedeutet, dass Israel niemals um Erlaubnis bitten muss.“

Dass jeder Staat das Recht habe, andere Staaten anzugreifen, wie Biden im ABC-Interview formulierte, ist selbstverständlich eine unter völkerrechtlichen und allgemeinpolitischen Gesichtspunkten völlig falsche, verheerende Ansicht. Und es stimmt auch keineswegs, dass die USA in dieser Hinsicht niemandem Vorschriften zu machen versuchen.

Anders als sein Vize hat Obama immerhin indirekt zu verstehen gegeben, dass er zum jetzigen Zeitpunkt, so lange das „Verhandlungsangebot“ an Teheran noch nicht ausgereizt ist, einen israelischen Angriff auf Iran für kontraproduktiv halten würde. Aber in der Realität ist das kein Streitthema, da Benjamin Netanjahu schon im Mai bei seinem Besuch in Washington zugesichert hat, dass Israel die derzeitige Priorität der „diplomatischen Schiene“ respektieren wird. Von Obama erhielt er dafür die Zusage, dass am Ende des Jahres über Erfolg oder Scheitern dieses Versuchs entschieden werden soll. Da Obamas Forderungen an Iran mindestens ebenso hart sind wie die seines Vorgängers George W. Bush – zusätzlich zum Verzicht auf Uran-Anreicherung für zivile Zwecke auch noch die Einstellung der Unterstützung für Hisbollah und Hamas – ist nicht zu erwarten, dass es einen Verhandlungserfolg geben könnte.

Was danach kommt, ist die entscheidende Frage. Obama hat bekräftigt, dass die USA dann das von ihnen beanspruchte Recht auf die „militärische Option“ wahrnehmen könnten. Und er hat in Wirklichkeit nicht seinem Vize widersprochen, der Israel das gleiche Recht zuerkannt hat.

Was Biden wirklich sagte

Vizepräsident Joe Biden führte am 5. Juli während seines Aufenthalts in der irakischen Hauptstadt Bagdad ein langes Interview mit George Stephanopoulos vom US-amerikanischen Rundfunk- und Fernsehsender ABC. Eines der erörterten Themen war der Streit um das iranische Atomprogramm. Bidens Äußerungen wurden weltweit als Signal interpretiert, dass die US-Regierung keine Einwände hätte, falls Israel den Iran militärisch angreifen würde. Hier die gesamte Passage des Interviews im Wortlaut.

BIDEN: Wenn die Iraner verhandeln wollen, werden wir verhandeln.

STEPHANOPOULOS: Und unterdessen tickt die Uhr...

BIDEN: Wenn die Iraner auf unser Verhandlungsangebot antworten, werden wir verhandeln.

STEPHANOPOULOS: Aber das Angebot liegt auf dem Tisch?

BIDEN: Das Angebot liegt auf dem Tisch.

STEPHANOPOULOS: Und inzwischen hat Premierminister Netanjahu ziemlich deutlich gemacht, dass er mit Präsident Obama vereinbart hat, diesem ganzen Prozess des Verhandlungsangebots Zeit bis Jahresende einzuräumen. Danach ist er darauf vorbereitet, die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen. Ist das die richtige Vorgehensweise?

BIDEN: Sehen Sie, Israel kann selbst bestimmen – es ist eine souveräne Nation – was in ihrem Interesse liegt und was sie beschließen, gegenüber Iran oder irgendwem sonst zu tun.

STEPHANOPOULOS: Ob wir zustimmen oder nicht?

BIDEN: Ja, ob wir zustimmen oder nicht. Sie haben das Recht, das zu tun. Jede souveräne Nation hat das Recht, das zu tun. Aber es gibt keinen Druck irgendeiner Nation, der unsere Vorgehensweise beeinflussen könnte. Wir glauben, dass diese im nationalen Interesse der Vereinigten Staaten liegt, und wir meinen, dass sie zugleich auch im Interesse Israels und der gesamten Welt liegt. Das sind also unterschiedliche Themen.

Wenn die Netanjahu-Regierung beschließt, eine Handlungslinie einzuschlagen, die anders ist als die jetzt verfolgte, dann ist es ihr souveränes Recht, das zu tun. Darüber haben wir nicht zu entscheiden.

STEPHANOPOULOS: Nur damit wir uns hier ganz klar verstehen: Wenn die Israelis entscheiden, dass Iran eine existentielle Bedrohung darstellt und dass sie das iranische Atomprogramm ausschalten müssen, dann werden ihnen die Vereinigten Staaten militärisch nicht im Wege stehen?

BIDEN: Sehen Sie, wir können einer anderen souveränen Nation nicht vorschreiben (dictate) was sie tun dürfen und was sie nicht tun dürfen, wenn sie eine Entscheidung treffen, wenn sie entscheiden, dass sie existentiell bedroht sind und dass ihr Überleben von einem anderen Land bedroht ist.

STEPHANOPOULOS: Sie sagen, wir können ihnen keine Vorschriften machen. Aber wir können, wenn wir wollen, ihnen hier im Irak die Überflugrechte verweigern. Wir können einem Militärschlag im Wege stehen.

BIDEN: Ich werde über diese Themen keine Spekulationen anstellen. Ich sage nur, dass Israel das Recht hat, zu entscheiden, was in seinem Interesse liegt, und wir haben das Recht und werden entscheiden, was in unserem Interesse liegt.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 9. Juli 2009