KNUT MELLENTHIN

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Zweifelhafter Erfolg

Der Streit zwischen den USA und dem Iran ist sehr viel schwieriger zu lösen als es zunächst den Anschein hatte.

Einen Monat nach dem Abschluss des Genfer Abkommen ist in den USA der Streit um die Politik gegenüber Iran in vollem Gange. Teile beider großen Kongressparteien instrumentalisieren sich für das erklärte Ziel der israelischen Regierung, das Abkommen möglichst rasch scheitern zu lassen und damit zugleich auch das Ende des Verhandlungen mit Iran zu provozieren. Die Folge wären wahrscheinlich nicht nur zusätzliche, noch erheblich schärfere Sanktionen, sondern das Näherrücken einer militärischen Konfrontation.

26 Senatoren, je zur Hälfte Demokraten und Republikaner, haben am Donnerstag den Entwurf eines neuen Sanktionsgesetzes auf den Weg gebracht. Initiatoren des Gesetzes mit dem Titel Nuclear Weapon Free Iran Act sind die Demokraten Robert Menendez und Chuck Schumer sowie der Republikaner Mark Kirk. Menendez ist Vorsitzender des einflussreichen Außenpolitischen Ausschusses des Senats. Zu den Unterstützern des Antrags gehören die republikanischen Hardliner John McCain und Lindsey Graham.

Das geplante Gesetz sieht eine Reihe von zusätzlichen Strafmaßnahmen gegen Iran und seine ausländischen Handelspartner vor. Neben der iranischen Ölindustrie sollen auch der Bergbau, der Maschinenbau und die Bauwirtschaft des Landes unter totalen Boykott gestellt werden. Das bedeutet, dass kein Ausländer zu diesen Bereichen irgendeine Form geschäftlicher Beziehungen  unterhalten kann, ohne schwerste Nachteile auf dem US-amerikanischen Binnenmarkt und hohe Geldstrafen zu riskieren.

In Genf wurde dem Iran zugesichert, für die Dauer eines sechsmonatigen Moratoriums keine neuen Sanktionen zu beschließen. Die Betreiber des Nuclear Weapon Free Iran Act behaupten, das von ihnen angestrebte Gesetz stelle keinen Bruch dieser Vereinbarung dar, da es erst nach Ende der sechs Monate wirksam werde. Das ist jedoch in mehrfacher Hinsicht eine Lüge. Aus dem Text des Entwurfs geht eindeutig hervor, dass die dort formulierten Sanktionen sofort nach Verabschiedung des Gesetzes in Kraft treten sollen.

Präsident Barack Obama hätte dann lediglich die Möglichkeit, die praktische Anwendung der Strafmaßnahmen höchstens 180 Tage lang – also während der Laufzeit des Moratoriums – abzuwenden. Dazu müsste er dem Kongress alle 30 Tage offiziell bestätigen, dass Iran in dieser Zeit 1. seinen Verpflichtungen aus dem Genfer Abkommen vollständig nachgekommen ist, dass es 2. weder direkt noch durch ausländische "Hilfskräfte" Terrorhandlungen gegen die USA oder gegen US-Bürger oder US-Eigentum durchgeführt, unterstützt, finanziert oder geplant hat, und dass Iran 3.  keine Raketen mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometer getestet hat. Weder die Terrorhandlungen – irgendein Fall von „indirekter Unterstützung“ lässt sich wahrscheinlich leicht konstruieren – noch die Raketentests sind Gegenstand des Genfer Abkommens.

Außerdem müsste der Präsident in diesen alle 30 Tage zu liefernden Berichten dem Kongress darlegen, dass er „auf eine endgültige Vereinbarung hinarbeitet, die Irans unrechtmäßige nukleare Infrastruktur demontiert“. Ein solcher Begriff kommt jedoch im Genfer Abkommen nicht vor und ist auch nicht Verhandlungsthema. Aus dem Kontext wird eindeutig sichtbar, dass die Betreiber des Gesetzes damit vor allem Irans Anlagen zur Uran-Anreicherung und den noch im Bau befindlichen Schwerwasserreaktor in Arak meinen. Der Langzeit-Teil des Genfer Abkommens geht jedoch davon aus, dass dem Iran beides erlaubt werden soll – in gewissen noch auszuhandelnden Grenzen und mit strikten internationalen Kontrollen. Obama könnte also nicht einmal den ersten derartigen Bericht an den Kongress abliefern, ohne entweder die Bedingungen des Gesetzes nicht zu erfüllen oder gegenüber den Iranern vertragsbrüchig zu werden.

Bestandteil des Gesetzes ist darüber hinaus eine - den Präsidenten nicht juristisch verpflichtende - Meinungserklärung des Senats. Sie besagt, dass die USA israelische „Präventivschläge“ gegen Iran mit diplomatischen, militärischen und wirtschaftlichen Mitteln unterstützen sollten.

Der Präsident kündigte sofort an, dass er sein Veto gegen das Gesetz einlegen würde, falls es wirklich von beiden Häusern des Kongresses beschlossen werden sollte.  „Die Verabschiedung neuer Sanktionen zu diesem Zeitpunkt würde unsere Anstrengungen untergraben, eine friedliche Lösung zu erreichen“, sagte der Pressesprecher des Weißen Hauses, Jay Carney. Das Veto des Präsidenten könnte unwirksam gemacht werden, wenn sowohl der Senat als auch das Abgeordnetenhaus das Gesetz mit mindestens einer Zweidrittel-Mehrheit bestätigen.

Das Thema spaltet die Demokratische Partei. Die Vorsitzenden von zehn Senatsausschüssen – diese Position geht stets an Mitglieder der stärkeren Partei, derzeit also die Demokraten – haben sich in einem offenen Brief von ihren Parteikollegen, die das Gesetz unterstützen, distanziert. Sie verweisen auf eine gemeinsame Stellungnahme der US-Geheimdienste vom 10. Dezember: Dort heißt es, dass „neue Sanktionen die Aussichten für eine erfolgreiche umfassende Atomvereinbarung mit dem Iran untergraben würden“.

Zugleich forderten die zehn einflussreichen demokratischen Parlamentarier den Fraktionschef ihrer Partei im Senat, Harry Reid, auf, sie zu konsultieren, bevor er den Gesetzentwurf zur Debatte im Senat freigibt. Genau das hat Reid jedoch am Sonnabend getan – ohne seine Kollegen hinzuzuziehen. Es wird nun damit gerechnet, dass der Senat sich damit befassen wird, sobald er nach den Weihnachts- und Neujahresferien am 6. Januar die Arbeit wieder aufnimmt.

Die Genfer Einigung zwischen dem Iran und der Sechsergruppe – USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien und Deutschland – wurde verständlicherweise weltweit als großer Schritt nach vorn wahrgenommen. Erst allmählich wird sichtbar, dass die Außenminister der sieben Staaten viele umstrittene Fragen „ausgeklammert“ und offen gelassen haben, um diesen scheinbaren Erfolg präsentieren zu können. Die praktische Umsetzung des bisher nur grob skizzierten sechsmonatigen Moratoriums – das im gegenseitigen Einvernehmen auf ein Jahr verlängert werden könnte – ist so kompliziert und voller Probleme, dass sie lange Gespräche zwischen Experten beider Seiten erfordert. Bisher ist kein Zeitpunkt geplant oder absehbar, zu dem das Moratorium wirklich in Kraft treten könnte. Der stellvertretende iranische Außenminister Abbas Araqchi, der meist anstelle seines Chefs als Verhandlungsführer agiert, hat am Sonnabend beklagt, dass es in den derzeit in Genf geführten Diskussionen „wenig Fortschritt“ gebe. Das ist ungewöhnlich, da die iranische Regierung normalerweise gern „Optimismus“ zur Schau stellt.

Die sieben verhandelnden Staaten haben sich im Genfer Abkommen das ehrgeizige Ziel gesetzt, sich innerhalb eines Jahres auf eine „umfassende Lösung“ aller mit dem Streit um das iranische Atomprogramm zusammenhängenden Probleme zu verständigen. Falls das nicht gelingt, droht eine neue Runde der Konfrontation, aber auf erheblich höherer Stufe. Es ist zu befürchten, dass westliche Politiker und Medien dann – angesichts überwiegend desinteressierter oder schlecht informierter „Öffentlichkeiten“ in ihren Ländern - leichtes Spiel hätten, dem Iran die Schuld am Scheitern der „diplomatischen Lösung“ zuzuweisen. Die US-Regierung hat bereits erklärt, dass der geplante Reaktor in Arak für sie „nicht akzeptabel“ sei und dass Iran „kein Recht auf Uran-Anreicherung“ habe. Beides steht im Widerspruch zum Text des Genfer Abkommens, aber kommt den Forderungen Israels und seiner USA-Lobby gefährlich weit entgegen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 23. Dezember 2013