KNUT MELLENTHIN

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Schweinebucht im Gaza-Streifen

Die Lage der Bevölkerung im Gaza-Streifen ist schlechter als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt seit der Besetzung des Gebiets durch Israel im Juni-Krieg 1967. Zu diesem Ergebnis kommt eine eben veröffentlichte Studie von acht britischen Menschenrechtsorganisationen. 80 Prozent der 1,1 Millionen Bewohner sind auf Hilfslieferungen angewiesen. Diese kommen aber aufgrund der israelischen Blockade nur in viel zu geringem Umfang an. Völlig unzureichend ist auch die Stromversorgung aus Israel; das Wasser- und Abwässersystem steht am Rande des Zusammenbruchs.

Seit dem Wahlsieg von Hamas im Januar 2006 betreibt Israel die Isolierung und Aushungerung des Gaza-Streifens. Unterstützung für dieses Vorgehen durch eigene finanzielle Maßnahmen kommt, neben den USA, auch von Deutschland und anderen EU-Staaten.

Das US-amerikanische Magazin Vanity Fair dokumentiert in seiner soeben erschienenen April-Ausgabe, wie die US-Regierung nach dem Hamas-Wahlsieg die besetzten Palästinensergebiete in einen Bürgerkrieg zu treiben versuchte. Die wesentlichen Fakten sind bereits bekannt. Neu ist jedoch, dass Vanity Fair jetzt aus geheimen Dokumenten zitiert und die Vorgänge durch Gespräche mit einigen der Hauptbeteiligten gründlich nachrecherchiert und weiter aufgeklärt hat.

Das Magazin beschreibt, wie US-Außenministerin Condoleezza Rice Anfang Oktober 2006 Ramallah besuchte, um den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas zu nötigen, die Bildung einer Koalition zwischen seiner Fatah und Hamas zu torpedieren. Er müsse so bald wie möglich die im März 2006 unter Führung der Hamas gebildete Regierung für aufgelöst erklären und Neuwahlen ansetzen, verlangte Rice von Abbas. Der versprach, innerhalb von zwei Wochen zu handeln, ließ aber nicht die erwarteten Taten folgen.

Daraufhin schickte die US-Regierung im Oktober 2006 Jake Walles, ihren Generalkonsul in Jerusalem, zu Abbas. Er überbrachte das "Ultimatum" (Vanity Fair), innerhalb kürzester Zeit den Ausnahmezustand auszurufen und eine Notstandsregierung einzusetzen. Um diesen Putschplan militärisch durchzusetzen, begann im November 2006 eine Reihe intensiver Gespräche zwischen dem US-amerikanischen Generalleutnant Keith Dayton und dem Chef der Fatah-Sicherheitsdienste, Muhammad Dahlan. Kern der abwechselnd in Ramallah und Jerusalem stattfindenden Treffen war eine massive Aufrüstung und Verstärkung der Fatah-Kräfte, sowie der Zeitplan für die Putschplanung.

Durch die Opposition der pro-israelischen Kräfte im Kongress wurde die US-Regierung jedoch daran gehindert, die Finanzierung der geplanten Maßnahmen selbst in die Hand zu nehmen: Der Kongress blockierte ein Ausgabenpaket von 86,4 Millionen Dollar, das dazu dienen sollte, "die Infrastrukturen des Terrorismus zu zerstören und Recht und Ordnung wiederherzustellen". Die US-Regierung wandte sich deshalb an Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, damit diese Ausbildung und Bewaffnung zusätzlicher Fatah-Kräfte übernehmen sollten.

Hamas reagierte auf die zu ihr gelangenden Informationen schnell und erfolgreich: Im Juni 2007 entwaffnete sie innerhalb weniger Tage die zahlenmäßig weit überlegenen Fatah-Kräfte. Die US-Regierung erlitt eine politische Niederlage, die Vanity Fair jetzt mit der gescheiterten Invasion in der kubanischen Schweinebucht vom April 1961 vergleicht.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 7. März 2008